Große Koalition – aber mit Vernunft und auf Augenhöhe

Große Koalition – aber mit Vernunft und auf Augenhöhe

Auf Einladung des Bundespräsidenten sind gestern die Parteivorsitzenden von CDU/CSU und SPD im Schloss Bellevue zusammengekommen, um Möglichkeiten einer Regierungsbildung auszuloten. Ich begrüße die Aufnahme von Gesprächen und hoffe, dass die SPD in den kommenden Wochen zusammenrückt und sich für eine Regierungsverantwortung entscheiden wird, damit wir in Deutschland so schnell wie möglich wieder eine stabile und handlungsfähige Regierung haben und unsere Arbeit aufnehmen können. Eine weitere Verschleppung der Entscheidung für oder gegen eine Große Koalition ist weder den Wählerinnen und Wählern zuzumuten, noch unserer heimischen Wirtschaft und unseren europäischen Nachbarn, die allesamt auf eine Entscheidung aus Berlin warten.

Nichtsdestotrotz werden die Verhandlungen nicht einfach werden. Sollte es zu einer Einigung kommen, müssen wir aufpassen, dass unser Verhandeln über eine Neuauflage der Großen Koalition nicht der reinen Notwendigkeit geschuldet ist, sondern auch wirkliche Zukunftsperspektiven liefert und Reformen anstößt. Davon gab es in den vergangenen vier Jahren eindeutig zu wenig. Kurz vor Scheitern der Sondierungsgespräche mit der FDP und den Grünen war es uns gelungen, wichtige Anliegen durchzusetzen. Vor allem im Bereich Arbeit und Wirtschaft wurden gute Ansätze wie etwa ein „Gründer- und Starterpaket“ zur Erleichterung und Förderung von Unternehmensgründungen, der Grundsatz der Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge bis 2021 bei unter 40 Prozent oder auch die gemeinsame Erarbeitung eines Regelwerks zur Steuerung und Einwanderung von Fachkräften in den Arbeitsmarkt erarbeitet. Diese und andere Punkte gilt es nun auch jenseits von Jamaika aufrechtzuerhalten und auf Augenhöhe in die Gespräche mit der SPD einzubringen.

Die SPD hat in den vergangenen Jahren viele ihrer Punkte durchsetzen können. Die CDU hat hier viele Zugeständnisse, vor allem im sozialen Bereich, gemacht. Sollte es tatsächlich darauf hinauslaufen, dass die SPD nur dann für eine Neuauflage einer Großen Koalition zur Verfügung steht, wenn weitere unrealistische weil unbezahlbare Leistungsversprechen im Bereich der Sozialpolitik zugestanden werden, müssen wir uns ernsthaft fragen, wie weit wir bereit sind, mitzugehen. Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland und der hohen Investitionen, die wir in den Bereichen Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung tätigen müssen, dürfen wir es als Partei der Mitte und wirtschaftlichen Vernunft nicht von unserem wirtschaftspolitischen Fokus abrücken. Gerade mir als Haushaltspolitiker mit Zuständigkeit für das Bundeswirtschaftsministerium ist an einer innovationsfreudigen Wirtschaftspolitik mit guten Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Industrie sowie einem ausgeglichenen Haushalt gelegen, der auch zukünftig ohne die Aufnahme neuer Schulden auskommt. Ich bin überzeugt, unsere nachfolgenden Generationen werden es uns danken.

Besonders die von der SPD zu ihrem Kernthema erklärte Einführung einer Bürgerversicherung hat bei vielen Politikern und Wählern kürzlich für Unmut gesorgt. Auch ich halte diese Idee für schlichtweg falsch und absolut unwirtschaftlich. Deshalb spreche ich mich klar gegen einen solchen Plan der SPD aus, da dieser in meinen Augen keine befriedigenden Lösungsansätze anbietet. Der bestehende Mix aus privater Krankenversicherung (PKV) und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) hat sich bestens bewährt und ist als System der Vollversicherung auch tauglich. Eine Zwangsmitgliedschaft dagegen, die eingeschränkte Leistungen, weniger Wettbewerb im Krankenkassensystem und damit letztlich auch mangelnde Nachhaltigkeit mit sich bringt, kann in meinen Augen keinesfalls wünschenswert sein. Mehr Einigkeit besteht dagegen mittlerweile beim Thema Einwanderungsgesetz. Ich denke, dass wir hier schleunigst einen gemeinsamen Entwurf vorlegen müssen, mit dem wir klare Regeln für die Zuwanderung aufstellen, auf deren Basis schnell und eindeutig zu unterscheiden ist, wer nach Deutschland kommen und hier bleiben kann und wer nicht. Bei dem für unsere Region besonders brennenden Thema Erdgasförderung habe ich unsere Parteispitzen aufgefordert, ein komplettes Verbot der Erdgasförderung in Trinkwasserschutz- sowie verdichteten Siedlungsgebieten in die Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.

Vor uns liegen ereignisreiche Wochen, in denen ich mir von unseren Parteivorsitzenden ein starkes, geschlossenes Auftreten wünsche. Historisch bedingt ist die deutsche Demokratie in erster Linie auf Konsens zwischen den Parteien ausgerichtet sowie darauf, Mehrheitsverhältnisse abzubilden. Das zentrale Element ist dabei der Kompromiss. Die Parteien sind demnach entsprechend ihrer Mehrheiten ausdrücklich in der Pflicht, Regierungskoalitionen zu bilden und dabei folglich auch Kompromisse einzugehen. So werden beide Parteien ihre Prioritäten setzen müssen. Ich appelliere aber ausdrücklich an die CDU-Parteiführung, zentrale Punkte festzuschreiben und sich in wichtigen Kernfragen wie etwa der Frage einer Bürgerversicherung zu behaupten.