700 Demonstranten fordern „No Fracking“

700 Demonstranten fordern „No Fracking“

                         

Bürgerinitiative ebenso erfreut über große Resonanz auf Protestaufruf wie die Bürgermeister der Region

Die Bürgerinitiative „No Fracking“ hatte zur Demonstration in Langwedel unter dem Motto „Kein Gift in unserer Erde“ geladen, und etwa 700 Teilnehmer aller Altersstufen waren dem Aufruf gefolgt. Darunter Vertreter mehrerer Bürgerinitiativen, doch den Großteil machten Bürger aus Völkersen, Scharnhorst, Kirchlinteln, Verden und den umliegenden Orten aus.
Von INKA SOMMERFELD
Langwedel-Schülingen. Gut 20 Trecker tuckerten von Völkersen nach Schülingen, dazu Mengen an Radfahrern, die unentwegt klingelten, und Massen an Fußgängern, die kräftig in ihre Trillerpfeifen bliesen und Transparente trugen – am Sonnabendnachmittag ging auf der Straße nichts mehr: „Ich hätte Euch lieber aus einem anderen Anlass begrüßt“, leitete der Langwedeler Bürgermeister Andreas Brandt die Abschlusskundgebung auf dem Feld in Hörweite des Betriebs von RWE Dea ein.

                                     
 

Und es klang kämpferisch, als er das Thema kurz skizzierte: Es sei ein technisches Problem gewesen, dass die Rohre, die das Lagerstättenabwasser ableiten, nicht sicher sind. „So entstand eine gewaltige Umweltverschmutzung entlang der Leitung“, rief Brandt. Lagerstättenabwasser fällt immer dort an, wo Erdgas gefördert wird, doch es müsse möglich sein, das Wasser so zu reinigen, dass es in einen Graben geleitet werden kann – und zwar dort, wo das Gas gefördert wird. „Wir im Flecken Langwedel pflegen eine gute Nachbarschaft, und dazu gehört, die Bürger nicht auf ihren Schäden sitzenzulassen“, monierte der Bürgermeister und fordert: „RWE soll die Schäden aufnehmen und beheben.“ Genügend Fachpersonal und Kapital habe das Unternehmen ja. Brandt dankte der Bürgerinitiative um Sprecher Thomas Vogel und Andreas Noltemeyer, die die Diskussion über Fracking anstieß und erreichte, dass sich die Öffentlichkeit für das Thema interessiere.
Die Demonstranten unterstützten die Forderungen mit ohrenbetäubendem Getöse: Jörg Schwieger von den Lüneburger Schrotttrommlern animierte zum rhythmischen Schlagen auf leere Fässer, dazu die schrille Töne unzähliger Trillerpfeifen, lauter Beifall und lautstarke Rufe. „Die Geräuschkulisse ist hoffentlich bis nach Hamburg zu hören“, sagte Noltemeyer. Völkersen sei ein idyllischer Heimatort gewesen, doch seit dem 11. Januar sei alles anders: „Wir sind das Fukushima der Erdgasindustrie.“ Soll heißen: Die Vorkommnisse im Gasfeld müssen massive Folgen für die Erdgasförderung und -konzerne haben. Was ans Licht der Öffentlichkeit kommt, müsse das Denken über und den Umgang mit der Erdgasgewinnung verändern, ähnlich wie Fukushima eine Wende für die Atomindustrie darstellt. „Doch die RWE arbeitet den Sachstand nur scheibchenweise auf“, kritisierte Noltemeyer. Das Problem sei, dass die Energieunternehmen laut Gesetz nicht verpflichtet sind zu informieren. „Es ist unerträglich, dass Wirtschaftsminister Bode den Betrieb von einem Großteil der Lagerstättenabwasserleitungen in Niedersachsen für weitere zwei Jahre genehmigt hat, nur weil er den Energiekonzernen nicht die Kosten für den Austausch zumuten will“, bemängelte Noltemeyer. Für ihn haben sauberes Trinkwasser und sauberer Boden oberste Priorität. Deshalb fordert er die „große“ Politik auf, an Gesetzen zum Schutz der Ressourcen zu arbeiten: „Fraktionsübergreifende Resolutionen des Kreistags, des Verdener Stadtrats, des Langwedeler Gemeinderats und diverser Ortsräte zur umwelt- und gesundheitsverträglichen Erdgasförderung geben die richtige Richtung vor“, meinte er. Die Völkerser Bürgerinitiative fordert ein generell überarbeitetes Lagerstättenwassermanagement mit dezentraler Reinigung des Wassers, Rückbau des gesamten Leitungsnetzes und sofortiges Einstellen der Verpressung von giftigem Abwasser in grundwassernahen Schichten. „Die Abgasreinigung sollte selbstverständlich sein, aber aus Kostengründen wurde darauf verzichtet“, schimpfte Noltemeyer. Grundsätzlich: „Fracking ist mit unkalkulierbaren Risiken verbunden und muss bis auf weiteres verboten werden. Dass das Unternehmen auf unserem Rücken und ohne Rücksicht auf Verluste Milliarden an Gewinnen einfährt, nehmen wir nicht weiter hin.“ Und ganz deutlich: „Wir wollen unser Land genauso sauber zurück wie es RWE von uns bekommen hat – also ohne Benzol und Quecksilber in Wasser und Boden.“ Der Bundestagsabgeordnete und frühere Langwedeler Bürgermeister Andreas Matttfeldt freute sich über die rege Teilnahme an der Demonstration: „Respekt. Wir haben Eindruck gemacht.“ Und wurde schnell erst: Das Unternehmen habe das Vertrauen der Menschen missbraucht: „Ich fühle mich verarscht.“ Mattfeldt hat kein Verständnis dafür, dass das Lagerstättenabwasser durch den ganzen Landkreis transportiert werde – es solle an der Bohrstelle gereinigt werden: „Das kostet mehr Geld, ist aber machbar.“ Außerdem verlangt er die Neustrukturierung des für Erdgasförderung zuständigen Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie: „Zwischen Amt und Energiewirtschaft bestehen zu enge Verflechtungen.“
Der Verdener Bürgermeister Lutz Brockmann rief die Demonstranten dazu auf, weiter Druck auf die Parlamente in Hannover und Berlin auszuüben, damit dort Gesetze verabschiedet werden, die vorschreiben, Lagerstättenabwasser an der Förderstelle zu reinigen. „Dafür müssen wir uns einsetzen: Ich freue mich schon auf weitere Demos.“ Bevor die Veranstaltung bei Bier und Bratwurst ausklang, ließen die Teilnehmer weiße Luftballons steigen. Daran war eine Karte befestigt, auf der Kinder und Erwachsene ihre Wünsche für eine saubere Umwelt geschrieben hatten. Die Ballons, so hofft die Bürgerinitiative, schicken die Finder an die RWE zurück. Doch leider blieben viele Luftballons in den umstehenden Bäumen hängen.
 

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Achimer Kurier Seite: 3 Datum: 07.05.2012