Bauern unter Strom

4. Dezember 2014
Pressespiegel

Die Landwirte wollen nicht ohne Weiteres ihre Äcker und Wiesen für die geplante Hochspannungsleitung „Südlink“ zur Verfügung stellen, durch die künftig regenerativ gewonnener Strom vom Norden in den Süden der Republik transportiert werden soll. Sie warnen vor fortschreitendem Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche und der zunehmenden Entwertung ihrer Ländereien.
VON MICHAEL LAMBEK

Verden. Bei der Versammlung des Kreisverbandes Rotenburg-Verden des Niedersächsischen Landvolks platzte manchem Landwirt der Kragen. 40 von ihnen unterschrieben eine Resolution, mit der der Bund aufgefordert wird, eigene Flächen für den Bau der Nord-Süd-Stromtrasse „Südlink“ zur Verfügung zu stellen, bevor auf Äcker und Wiesen von Landwirten zugegriffen werde.

Konkret ging es um den Teil der Trasse, der zum aktuellen Planungsstand die Landkreise Verden und Rotenburg durchschneidet, bevor sie nach Süden weiterführt. Die Landvolkmitglieder verlangen den Zuschlag für die Alternative – den Verlauf entlang der Bundesstraße 3 und dann nach Süden abschwenkend entlang der Autobahn 7 – eine Trasse, für die sich auch der Verdener Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt (CDU) in der Vergangenheit stark gemacht hat. Der Stolperstein, der diese Option ins Wanken bringen könnte, ist der Truppenübungsplatz Bergen entlang der A 7. Allerdings hat die Bundeswehr, weiß Wilhelm Hogrefe, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Verdener Kreistag, „keine Sondervetorechte. Sie wird im Planungsprozess genauso gefragt und muss genauso Stellung nehmen, wie alle anderen auch.“

Was den CDU-Politiker und seine Mitstreiter vom Bauernverband umtreibt, ist der zunehmende Verbrauch landwirtschaftlicher Nutzflächen, unter Insidern auch gern „Flächenfraß“ genannt, durch Siedlungsbau und Infrastrukturmaßnahmen. „In den vergangenen 20 Jahren haben wir allein im Landkreis Verden 4000 Hektar Nutzfläche verloren“, sagt er. Gut 46 000 Hektar gibt es im Landkreis. Nach Auskunft des niedersächsischen Bauernverbandes verliert die Landwirtschaft täglich rund zehn Hektar (100 000 Quadratmeter) an den Bau von Siedlungs- und Verkehrsflächen. Dabei verläuft der Flächenfraß regional unterschiedlich – rund um baufreudige Oberzentren wie Bremen schneller und intensiver als in rein ländlich strukturierten Gegenden.

Hogrefe erwartet Einschränkungen der Flächennutzungsmöglichkeiten durch die Starkstromleitungen. „Wir kommen da in eine völlig neue Dimension, mit der wir keine praktischen Erfahrungen haben“, sagt er. Das Stärkste, womit man es bisher zu tun gehabt habe, seien 380-Kilovolt-Wechselstromleitungen gewesen: „Jetzt reden wir von über 500-Kilovolt-Gleichstromleitungen.“ Es werde sicherlich etliche Bauern geben, die unter solchen Stromleitungen nicht arbeiten wollen, sagt Hogrefe. Aber mit absoluter Sicherheit könne man satellitengestützte Produktion, die auf großen Einheiten immer wichtiger werde, im Magnetfeld dieser Stromautobahn komplett vergessen. Folglich verlieren landwirtschaftlichen Nutzflächen laut Hogrefe empfindlich an Wert – sowohl was ihre Nutzungsmöglichkeiten als auch erzielbare Pachterlöse betreffe.

Die Unterzeichner der Resolution des Kreisverbandes wollen nicht akzeptieren, dass es bei der Überspannung mit Starkstromleitungen zwar Abstandsgebote für Häuser und Siedlungen gebe, nicht aber für private Forst- und Agrarnutzflächen. Dazu der Kreisvorsitzende des Landvolks Rotenburg-Verden Jörn Ehlers: „Wenn der Bund nicht mit gutem Beispiel vorangeht und seine eigenen Flächen für Infrastrukturvorhaben zur Verfügung stellt, kann er dies auch nicht von anderen Grundeigentümern erwarten.“

Was man nach Meinung von Hogrefe darüber hinaus erwarten muss, ist ein stärkeres Engagement der Länder bei der Planung der Stromtrassen. Denn grundsätzlich sind die Länder für Raumordnungsfragen zuständig. Hogrefe: „Im Endeffekt ist es so, dass der Netzbetreiber Tennet Vorschläge für den Verlauf der Stromleitungen erarbeitet, über die bei der Bundesnetzagentur nach Abwägung aller Interessenlagen entschieden wird.“ Dass Niedersachsen und andere Länder sich in der Vergangenheit aus diesem Prozess weitgehend herausgehalten hätten, sei eigentlich ein Unding, meint Hogrefe.

Unter dem Motto „Vorrang für Ernährung! Stoppt den Landfraß“ demonstrieren die Landwirte aus dem Kreis Nienburg am 4. Dezember in Hoya. Die Kundgebung beginnt um 14 Uhr.

aus Verdener Nachrichten vom 03.12.2014