Bundespolitiker aus dem Wahlkreis kommentieren die Ereignisse
Zwiespältiger Blick nach Berlin
Verden – „Das war überfällig“, kommentierte gestern ein eher entspannter Andreas Mattfeldt in seinem Berliner Abgeordneten-Büro, was sich da im Kanzleramt nebenan am Vorabend ereignet hatte. Direkte Folgen hat das Aus der Ampel aber nicht nur für den altgedienten Bundestagsabgeordneten (CDU), sondern auch für seinen Kollegen in der FDP-Fraktion, den Achimer Gero Hocker, und die Verdener SPD-Chefin Özge Kadah, die Kandidatin im Wahlkreis Verden-Osterholz werden möchte. Wie kaum anders zu erwarten, fällt ihre Bewertung der Ereignisse sehr unterschiedlich aus.
Der Christdemokrat aus Langwedel kann sich vorstellen, dass seine Partei jetzt früher in die Regierungsverantwortung zurückkehrt als erwartet. Sein liberaler Kollege Gero Hocker hat gestern konsequent um seine Entlassung aus dem Amt als Parlamentarischer Staatssekretär gebeten. „Für mich stand unmittelbar fest, Verantwortung zu übernehmen und meinen Teil zu schnellstmöglichen Neuwahlen beizutragen. Mein Rücktrittsgesuch als Staatssekretär habe ich daher dem Minister bereits heute Morgen persönlich überreicht“, berichtete Hocker gestern.
Verdens Ortsvereinsvorsitzende Özge Kadah will erst nach Berlin, aber auch für sie ändern die Ereignisse einiges. Eine vorzeitige Neuwahl würde zu einem kurzen, aber heftigen Wahlkampf führen, wenn die Wahlkreiskonferenz sie am 27. November zur Kandidatin kürt.
So richtig überrascht hatte der Bruch der Ampel-Koalition keinen von den Politikern aus dem Walhlkreis. Dennoch bekannte Andreas Mattfeldt, dass er beim Ton Entsetzen gepürt hatte, als die Erklärungen abgegeben wurden. „So macht man das nicht“, war sein entschiedenes Urteil.
Wie bei den Berichten von den Parteispitzen am Abend zuvor, klangen auch die Bewertungen der drei Politiker am Tag danach noch sehr unterschiedlich. Özge Kadah betrachtet den Konflikt ähnlich wie der Bundeskanzler. Sie wirft der FDP und vor allem Minister Christian Lindner eine Blockadehaltung an wichtigen Stellen vor und mangelnde Verlässlichkeit selbst bei ausgehandelten Absprachen: „Er ist zu Kompromissen nicht bereit gewesen.“ Dass Gero Hocker da nicht zustimmen kann, überrascht nicht: „Die wirtschaftliche Lage ist besorgniserregend. Zehntausende Menschen bangen alleine in Niedersachsen um ihren Job, Unternehmen und Fachkräfte wandern ins Ausland ab. In einer solchen Situation braucht unser Land mutige Reformen statt ein mattes ,weiter so’.“
„Lindner hatte Recht“, kommt Andreas Mattfeldt zumindest mit den Forderungen im FDP-Papier von vergangener Woche, das manchen auch als Scheidungspapier gewertet haben, gut zurecht. Er nimmt den Vorwurf auf, dass Scholz zu lange nicht gehandelt habe.
Auch Gero Hocker kritisiert mangelnde Aktivität des Kanzlers. „Die Freien Demokraten haben eine ganze Reihe von Vorschlägen eingebracht, um das Ruder rumzureißen und unser Land wieder auf Erfolgskurs zu führen. Statt allerdings über Erleichterungen für unsere mittelständischen Unternehmen zu sprechen, über weniger Bürokratie, weniger Auflagen und niedrigere Steuern, wurde der Finanzminister vom Bundeskanzler aufgefordert, wegen des Ausgangs der US-Wahl die Schuldenbremse zu ignorieren. Vor keinem Gericht hätte eine solche Begründung Stand gehalten. Im Gegenteil wäre bei einem entsprechenden Urteil finanzpolitisches Chaos in Deutschland ausgebrochen. Dieses Vorgehen ist eines Bundeskanzlers unwürdig.“
CDU-Politiker Mattfeldt hatte den Donnerstagvormittag in parteiinternen Gesprächen zugebracht und sah in dieser Situation keine Alternative zur baldmöglichen Neuwahl. „Scholz muss noch diese Woche, am besten noch morgen die Vertrauenfrage stellen“, stimmte er in den Chor ein. Ansonsten werde es nicht ohne ein Misstrauensvotum gehen. Was dann nach einer Wahl in einem neuen Bundestag an Mehrheiten möglich ist, müsse man sehen. „Die Aufgaben bleiben ja groß und die Menschen müssen merken, dass sich was ändert.“
Auch der FDP-Politiker drängt zu baldmöglichen Neuwahlen für das Parlament: „Nachdem klar war, dass mit dieser Regierung keine Wirtschaftswende für unser Land herbeizuführen ist, hat Christian Lindner das Angebot für einen geordneten Übergang mit zeitnahen Neuwahlen angeboten. Dass Olaf Scholz dieses Angebot ausgeschlagen hat und nun erst im Januar die Vertrauensfrage stellen will, zeugt von fehlendem Verantwortungsbewusstsein. Eine Richtungsentscheidung für Deutschland ist jetzt nötig, es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Je früher die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt und Neuwahlen stattfinden können, umso besser!“
Andreas Mattfeldt kann sich verschiedene Konstellationen vorstellen. Seine CDU jedenfalls sei bereit, sagt er. Ob eine andere als eine schwarz-rote Mehrheit möglich sein wird, müsse sich nach der Wahl zeigen. Die Grünen hält Mattfeldt derzeit aber nicht für einen denkbaren Partner. RONALD KLEE
VAZ 08.11.2024