Einer großen Koalition nicht abgeneigt

Vier Wochen nach der Bundestagswahl deutet alles auf ein schwarz-rotes Regierungsbündnis zwischen CDU und SPD hin. Auf einem kleinen SPD-Parteitag haben sich am Sonntag 86 Prozent von 260 Stimmberechtigten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Andreas Mattfeldt, CDU-Bundestagsgeordneter für die Wahlkreise Verden und Osterholz, seine einstige Gegenspielerin Christina Jantz und der Achimer SPD-Ortsvereinsvorsitzende Fritz-Heiner Hepke sind einer großen Koalition nicht abgeneigt.
VON LARS KÖPPLER
Landkreis Verden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Christina Jantz aus Schwanewede und der Achimer SPD-Chef Fritz-Heiner Hepke stehen einer großen Koalition offen gegenüber. Ihre Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen mit den Christdemokraten verknüpft die Parteispitze jedoch mit einem zehn Punkte umfassenden Forderungspaket. Ich denke, es ist jetzt ausreichend verhandelt worden“, stellt hierzu der Achimer SPD-Frontmann Fritz-Heiner Hepke fest.
Zu den Kernforderungen der Sozialdemokraten zählen ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro und die doppelte Staatsbürgerschaft. Diesen Punkt halten die „Roten“ mit Sigmar Gabriel an der Spitze für unverzichtbar. „Wenn wir unsere Ziele durchsetzen können, bin ich für alles offen“, erklärt Hepke, der allerdings nur wenig Spielraum sieht, um Abstriche bei den eigenen Ansprüchen zu machen.
Immerhin wollen die Sozialdemokraten an ihrer Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent, wie es im Wahlprogramm geschrieben steht, nicht mehr festhalten. Allerdings, so die interne Vorgabe, sollen Projekte der großen Koalition nicht über Einsparungen im Sozialbereich finanziert werden. Als mögliche Streitthemen sieht Hepke neben dem Mindestlohn auch die Bereiche Arbeitsmarkt mit Hartz IV-Verbesserungen und soziale Gerechtigkeit. „Wir wollen keine Politik wie in den vergangenen vier Jahren, sondern deutliche Verbesserungen“, betont er, der sich von den CDU-Forderungen am ehesten mit dem Betreuungsgeld arrangieren kann. „Wenn denen das so wichtig ist, kann man sicher darüber reden.“
Die von CDU und CSU abgelehnte völlige Gleichstellung homosexueller Paare, etwa bei der Adoption von Kindern, fehlt jedoch in dem Katalog. Hier hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nicht kompromissbereit gezeigt. Dafür pocht die SPD auf Einführung einer Mietpreisbremse und den Einstieg in die Angleichung der Renten in Ost und West. Zudem verlangt die Partei eine Finanztransaktionssteuer, stärkere Bekämpfung von Steuerbetrug, mehr Geld für Kommunen und eine auskömmliche Rente für langjährige Beitragszahler. Auch für Hepkes Parteigenossin Christina Jantz, die über die Liste ins Parlament gerutscht ist, sind die zehn Punkte kaum verhandelbar. „Das sind schon unsere Essentials, die in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden müssen. Davon werden wir nicht abweichen“, hält die SPD-Frau aus Schwanewede einen „Politikwechsel“ für „sehr wichtig“. In Berlin hat sich die 35-Jährige, die auch als ehrenamtliche Schöffin beim Landgericht Verden tätig ist, bestens eingelebt. „Ich bin gut in Berlin angekommen. Es muss sich aber erst noch alles finden. Ich habe noch keine Büroräume bezogen und bin erstmal bei amtierenden Abgeordneten untergekommen“, berichtet Jantz, die in der Hauptstadt auf der Suche nach einer kleinen Wohnung ist und zukünftig zwischen Schwanewede und Berlin pendeln möchte. „Ich habe keinen bevorzugten Stadtteil, es sollte aber eine Wohnung sein, die zentral zum Bundestag liegt“, sagt Christina Jantz, die auch ihren einstigen Gegenspieler im Wahlkampf gelegentlich sieht.„Ich habe ihn am Montag im Zug getroffen“, schmunzelt die SPD-Frau über die zufällige Begegnung mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Mattfeldt, der das Rennen um die Wählergunst am 22. September klar für sich entschieden hatte und die Wahlkreise Verden und Osterholz erneut als Direktkandidat in Berlin vertritt.
Die Forderungen der SPD-Spitze hält Mattfeldt angesichts des für sie desaströsen Wahlergebnisses mit etwas mehr als 25 Prozent für „ziemlich selbstbewusst“. Die Wahl habe klar gezeigt, dass die Bürger dieses Landes keinen politischen Kurswechsel wollen, interpretiert Mattfeldt das Zahlenwerk. Vielmehr solle „die „erfolgreiche Politik in Deutschland“ unter Angela Merkel fortgeführt werden. „Maßgeblich bei der neuen Regierungsbildung ist, dass die Schuldenbremse eingehalten wird. Außerdem darf die Haushaltspolitik nicht aufgeweicht werden“, stellt Andreas Mattfeldt klar. Zudem hat der CDU-Mann aus Langwedel Projekte rund um die Versorgungsnetze auf seiner Prioritätenliste. „Wichtig ist, dass wir die Investitionen in die Infrastruktur erheblich ausbauen, anstatt ausufernde Sozialpolitik zu betreiben“, erklärt Mattfeldt, der im Hinblick auf das Thema Erdgasförderung zugibt, lieber mit den Grünen zu koalieren. „In dieser Frage hätte ich mehr Vertrauen zu den Grünen“, so Mattfeldt, der sich aber auf eine schwarz-rot geführte Regierung einstellt.
„Eine große Koalition wäre für mich kein Weltuntergang“, sagt der CDU-Politiker, der umfassende Reformen in der Bildungspolitik anstrebt. Es könne beispielsweise nicht sein, dass es in den Bundesländern die unterschiedlichsten Regelungen bei den Abiturprüfungen gebe. Mattfeldt glaubt zudem, dass es gar nicht „die großen Dinge“ sind, die bei den Koalitionsverhandlungen für Streit sorgen werden. „Wir haben in der Ausgabenpolitik unterschiedliche Standpunkte“, so der Langwedeler Bundestagsabgeordnete.
Die im Wahlkampf offen zur Schau getragenen Meinungsverschiedenheiten in der Energiepolitik hält Mattfeldt jedoch für Getöse. Sorgen bereitet dem CDU-Mann vielmehr das erwartete Aufblähen der Ministerien, sollte es zur großen Koalition kommen. „Da werden dann wieder viele neue Posten geschaffen.“ Bei dem Thema Mindestlohn, da ist sich Mattfeldt sicher, werde sich ein Kompromiss finden.
„Ich glaube, dass CDU und SPD letztlich gut miteinander auskommen werden“, unkt der 43-jährige Familienvater, der auf kommunaler Ebene die Infrastruktur und den Lärmschutz an der Bahn zu den wichtigen Themen zählt, bei denen es „jetzt flutschen“ muss. Auch in die als Verbindung zum Industriepark südlich des Bremer Kreuzes geplante Autobahnauffahrt Achim-West werde groß investiert. „Hier laufen die Verhandlungen zwischen der Stadt Achim und dem Land Bremen über eine finanzielle Beteiligung des Landes“, so Andreas Mattfeldt. Im Landkreis Osterholz sei es die Verlegung der Bundesstraße 74, wo er jetzt Ergebnisse erwarte. Die Koalitionsverhandlungen sollten nach Ansicht des CDU-Politikers aus Langwedel zügig ablaufen. „Ich hoffe auf einen schnellen Abschluss“, sagt Mattfeldt und ergänzt: „Das ist wichtig, damit der Bundeshaushalt so schnell wie möglich verabschiedet werden kann.“
Die Sozialdemokraten haben es nicht ganz so eilig. Am Mittwoch sollen die Koalitionsverhandlungen beginnen, ihre Dauer ist ungewiss. Als Grundlage für die Gesprächsrunden mit den Christdemokraten gelte das Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, wie SPD-Parteichef Sigmar Gabriel bei dem Parteitag am Sonntag kund tat. Ziel der Sozialdemokraten sei demnach eine Regierungsbildung bis Weihnachten. Dass die SPD am Ende der Koalitionsgespräche ihre 470 000 Mitglieder über die Ergebnisse abstimmen lassen will, begrüßt Christina Jantz. „Ich finde es gut und richtig, dass die Mitglieder die Entscheidung treffen sollen.“

 


Christina Jantz (SPD) und Andreas Mattfeldt (CDU/Mitte) können sich eine große Koalition durchaus vorstellen. Die Sozialdemokraten pochen jedoch auf einen Zehn-Punkte-Katalog als Basis für Koalitionsgespräche. Rechts der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens (Linke). FOTO: HASSELBERG
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