Führerschein mit 18, 17 – und nun mit 16?

CDU-Vorstoß zur Verbesserung der Mobilität auf dem Land / Skepsis bei Verkehrsexperten und Unfallforschern
Weil der öffentliche Nahverkehr im ländlichen Raum unzureichend ausgebaut ist, sollten Jugendliche schon mit 16 Jahren den Führerschein machen dürfen. Das ist der Kern eines Vorschlags aus der CDU, der gestern für Diskussionen sorgte. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) nannte den Vorstoß „Unfug“. Verkehrsexperten sind zumeist skeptisch.

VON MICHAEL LAMBEK
Hannover / Berlin. Die Idee zielt auf dünn besiedelte Flächen. Dort nämlich hätten Jugendliche bei ungenügend ausgebautem Netz öffentlicher Verkehrsmittel nicht selten Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu erreichen, so die Begründung von Peter Bleser. Der Parlamentarische Staatssekretär ist Vorsitzender des CDU-Fachausschusses Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, in dem auch über die Zukunft ländlicher Räume diskutiert wird.

Bleser, der mit seiner Idee „in erster Linie eine Diskussion anstoßen“ wollte, verwies darauf, dass junge Leute mit 16 Jahren bereits Moped fahren dürften, was vor allem im Winter zu schweren Unfällen führen könne. Eine Fahrt mit dem Auto wäre nach Einschätzung des Staatssekretärs ungleich sicherer.

Völlig überrascht von dem Vorschlag zeigte man sich beim Niedersächsischen Fahrlehrerverband. Dessen Vorsitzender Dieter Quentin sagte, nichts habe bisher auf solche Gedankenspiele hingewiesen: „Das Problem der langen Wege und schlechten Verbindungen über den öffentlichen Personen-Nahverkehr ist ja nun beileibe nicht neu. Bisher hat dies aber niemand in Zusammenhang mit den Auszubildenden gebracht“, sagte er. Gleichzeitig bezweifelte er, dass Bleser mit seinem Vorstoß die richtige Gruppe im Blick hat. In aller Regel begännen junge Leute ihre Ausbildung, wenn sie älter als 16 Jahre seien.
Laut Quentin findet der Vorschlag Blesers sein schnelles Ende im EU-Recht. Das lasse zur Zeit den Erwerb des Führerscheins durch unter 17-Jährige schlicht nicht zu, sagte der Verbandsvorsitzende.

Der Blick in Ausbildungsfirmen zeigt, dass das Problem der Erreichbarkeit von Ausbildungsplätzen für Jugendliche vereinzelt zwar real, aber in aller Regel lösbar ist: Die Firma Praetec Präzisionstechnik im Schwaneweder Industriepark Brundorf zum Beispiel beschäftigt drei Auszubildende. Sie sind inzwischen alle über 18 Jahre alt und fahren mit dem Auto zur Arbeit. „Vorher sind sie mit dem Roller gekommen“, sagt Mitarbeiterin Michaela Roocke.

Bei der Einstellung der Lehrlinge achte ihr Chef darauf, dass wenigstens einer von ihnen bereits 18 sei und einen Führerschein habe, „denn die Berufsschule ist in Verden und da kommen die Auszubildenden sonst sehr schlecht hin“.
Bei der Fassmer-Werft in Motzen, Ortsteil der Gemeinde Berne im Landkreis Wesermarsch, machen etwa 40 Jugendliche ihre Ausbildung. Auch dort ist es für die Lehrlinge nicht leicht, zu den entsprechenden Berufsschulen in Brake, Nordenham oder Oldenburg zu kommen. Der Betriebsratsvorsitzende Volker Karstaedt: „Wir bekommen natürlich auch Bewerbungen aus Nordenham oder Brake. Weil das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln ziemlich schlecht ist, haben die Jugendlichen ein Problem. Sie können mit der Bahn nach Berne fahren. Vom Bahnhof sind es dann aber noch mal sieben Kilometer, die sie hierher zu Fuß laufen oder mit dem Fahrrad fahren müssen. Einige bilden deshalb Fahrgemeinschaften mit Älteren, die schon einen Führerschein haben.“

„Das kann man mal ausprobieren“, meint Udo Köppen, Vorsitzender der Lilienthaler Verkehrswacht, zu dem CDU-Vorstoß. Seine Zweifel hat er allerdings, was die Begründung betrifft. Wenn man die Situation von Jugendlichen im ländlichen Raum verbessern wolle, „dann sollen sie lieber den öffentlichen Nahverkehr besser ausbauen“, lautet die ganz persönliche Meinung des Verkehrsexperten, der auf die Bahnstrecken in der Region hinweist, die stillgelegt worden sind.

„Ich unterstütze diesen Vorschlag nicht“, sagt indes der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt (Langwedel). Für das Fahren eines Autos bedürfe es einer Reife, „die nicht jeder Jugendliche schon mit 16 hat“.

Alarm schlägt die Unfallforschung der Versicherer (UDV). Laut UDV-Leiter Siegfried Brockmann sind die jungen Fahrer weit überproportional am Unfallgeschehen beteiligt. So würden heute schon 24 Prozent aller PKW-Unfälle mit Personenschaden von jungen Fahren im Alter zwischen 18 und 24 Jahren verursacht, obwohl sie nur acht Prozent an der Bevölkerung ausmachten. Von den getöteten PKW-Insassen seien sogar 28 Prozent in diesem Alter. Brockmann: „Das kann mit noch jüngeren Autofahrern nur noch schlimmer werden.“ In jedem Fall aber werde man zwei zusätzliche Jahrgänge dieser Hochrisikogruppe auf der Straße haben. Im Unterschied zum Moped gingen vom Auto vor allem Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer aus.

Verkehrsminister Ramsauer sagte zu dem Vorschlag: „Ein klipp und klares Nein. So ein Unfug.“ Mit dem begleiteten Fahren mit 17 Jahren gebe es „eine hervorragende Regelung“.
Auch Verkehrsexperten kritisierten den Vorschlag. „Wir halten von der generellen Absenkung des Führerscheinalters nichts“, sagte der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, Gerhard von Bressensdorf. Auch der ADAC verwies auf das höhere Unfallrisiko bei jüngeren Fahrern.„Das kann mit noch jüngeren Autofahrern nur noch schlimmer werden.“
Siegfried Brockmann, Unfallforscher

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 19.04.2012