Gutes Ergebnis – gemischte Aussichten

Der Sommer war in touristischer Hinsicht ein Erfolg für Niedersachsen: In der Lüneburger Heide, im Harz und an der Nordseeküste stiegen die Übernachtungszahlen im Vergleich zum Vorjahr. Damit verbinden sich auch für die kommenden Jahre Wachstumshoffnungen. Allerdings muss die Tourismuswirtschaft künftig unter schwierigeren Bedingungen antreten. Denn die Fördermittel aus Brüssel fließen spärlicher.
VON MICHAEL LAMBEK
Hannover. Der vielerorts heiße Sommer hat die Touristen in Scharen in den Urlaub nach Niedersachsen strömen lassen. In den Sommermonaten Juni bis August kamen rund 4,4 Millionen Gäste ins Land, wie das Statistische Landesamt mitteilte. Das bedeute einen Anstieg um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die Übernachtungszahlen stiegen leicht an – auf 14,5 Millionen. Für den Herbst rechnet die Tourismus Marketing Niedersachsen GmbH weiter mit guten Zahlen dank des milden Wetters. Allerdings lägen die Herbstferien in diesem Jahr spät, so dass sich die Reisezeit in den November verlagern könne. 
In den Sommerferien zog es vor allem Gäste aus Niedersachsen selbst und aus Nordrhein-Westfalen zu den klassischen Familienreisezielen. Zu den Regionen mit den meisten Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr zählen der Harz und die Nordseeküste. Auf den stärksten Zuwachs von rund 2,7 Prozent bei den Übernachtungen kam die Lüneburger Heide. Am längsten blieben die Gäste mit 6,7 Tagen im Durchschnitt auf den ostfriesischen Inseln und an der Nordseeküste mit fünf Tagen.
Alles in allem Anlass für die schönsten Zukunftserwartungen. Allerdings befürchtet die Tourismuswirtschaft in Niedersachsen eine deutliche Verringerung der Zuschüsse aus Brüssel, denn in der neuen Förderperiode von 2014 bis 2020 hat sich gegenüber dem vorhergehenden Förderzeitraum manches geändert. 
Sechs Milliarden Euro weniger 
Der Umfang der europäischen Strukturförderung wird deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. In der alten Periode für den Zeitraum 2007 bis 2013 waren noch rund 25 Milliarden Euro an deutsche Förderprojekte geflossen. Für die nächsten sechs Jahre liegen gerade 19 Milliarden Euro im deutschen Topf. 
Von den deutschen Vertretern schlecht verhandelt? „Nein“, sagt Andreas Mattfeldt, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Osterholz-Verden. „Es hat in dieser Frage für niemanden einen Verhandlungsspielraum gegeben. Der entscheidende Schlüssel ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, und danach ist das Verteilungsergebnis eindeutig.“ 
Das Ergebnis bedeutet in erster Linie, dass die Decke insgesamt kürzer geworden ist und zurzeit sich niemand eine auch nur einigermaßen sichere Aussage über Umfang und Inhalt künftiger Tourismusförderung zutraut. Wer soll die absehbaren Förderlücken füllen? 
„Das kann der Bund nicht bezahlen“, sagt Mattfeldt. Er sieht hier in erster Linie die Länder am Zug, denn die seien in der Vergangenheit vom Bund finanziell erheblich entlastet worden. Der Abgeordnete nannte in diesem Zusammenhang die von der Bundesregierung übernommenen Eingliederungszuschüsse, das BAföG, die Grundsicherung im Alter und nicht zuletzt die Zuwendungen des Bundes für die Kindertagesstätten. Mattfeldt: „Da kommen etliche Milliarden zusammen.“ Niedersachsen und andere Länder werden dieser Sicht der Dinge vermutlich entgegenhalten, dass ein guter Teil dieser Milliarden zweckgebunden war und an die Kommunen durchgereicht werden musste. 
Hinzu kommt die zweite Seite des Dilemmas: Nicht nur der Umfang der EU-Förderung wird geringer, sondern auch deren Ziele wurden verändert. Sie folgen anderen Kriterien als in der Förderperiode der vergangenen fünf Jahre. Niedersachsens Tourismus-Regionen werden das zu spüren bekommen. 
Die bisher geltenden Richtlinien für die Unterstützung von Tourismus-Projekten greifen nicht mehr, nachdem sich jedwede Förderung dem Ziel „Europa 2020“ unterzuordnen hat. Hier geht es in erster Linie um Klimarettung, Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit oder Arbeitsmarktwirkung. Demnach ist längst nicht mehr alles sinnvolle Strukturpolitik, was dem niedersächsischen Tourismus dient. 
Brüssel hat Klärungsbedarf
Das „Operationelle Programm“ des Wirtschaftsministeriums versucht, die niedersächsischen Förderpläne mit den Zielen „Europa 2020“ zu harmonisieren. Es liegt der Europäischen Kommission derzeit zur Genehmigung vor. Allerdings hat Brüssel dazu noch einigen Klärungsbedarf: Nicht weniger als 241 Fragen zum Operationellen Programm soll Hannover bis zum 7. November beantworten. Wenn alles gut geht, wird Brüssel einen Haken an das Programm machen, das dann Grundlage für die Entwicklung neuer Förderrichtlinien sein wird. Das ist gegenwärtig jedenfalls die Hoffnung in Hannover.
Unterdessen gibt es angesichts knapper werdender Mittel bereits erste Vorbereitungen auf anstehende Verteilungskämpfe: Der niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) hat bereits vorsorglich ein Mitspracherecht eingefordert, wenn es um die Entwicklung neuer Förderrichtlinien geht. Hintergrund: Neben dem nun deutlich schlankeren „Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung“ (EFRE), aus dem die Tourismusregionen in der Vergangenheit den Löwenanteil ihrer Projektförderungen bezogen haben, gibt es auch andere Töpfe, in die von verschiedenen Seiten begehrlich hineingeschnuppert wird. Da ist zum Beispiel der „Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes“ (ELER), dessen Mittel bisher in erster Linie vom Landwirtschaftsministerium für landwirtschaftliche Projekte verwandt worden sind. 
Das muss, findet jedenfalls Meinhard Abel vom NSGB nicht immer so bleiben. Er kann sich sehr gut vorstellen, dass auch die Förderung von touristischen Projekten durchaus ein Beitrag zur Entwicklung des ländlichen Raumes sein kann. Deshalb müsse bei der Fassung neuer Förderrichtlinien des Landes ergebnisoffen über die Verwendung europäischer Hilfsmittel gesprochen werden.

 


Die Nordseeküste profitierte in diesem Jahr von einem Bilderbuchsommer.FOTO: DPA
Weser Kurier vom 30.10.2014