Knüppel zwischen die Beine

VON FELIX WEIPER
Achim. Gäste sitzen an Holztischen unter rustikalen Deckenbalken. Es duftet nach Kaffee und Apfelkuchen. Im Café des historischen Clüverhauses in Achim lassen es sich Einheimische und Besucher der Stadt gut gehen. Nicht nur das Ambiente macht das Café zu einem besonderen Ort, sondern auch sein Betriebskonzept: Es sind Menschen mit Handicap, die hier servieren, Kaffee kochen, backen und Frühstück machen. Für diese Arbeiten haben die in Achim-Bierden ansässigen Behinderten-Werkstätten der Stiftung Waldheim ein Team von acht Frauen und Männern abgestellt. Für sie ist es die Chance, selbstbestimmter zu leben, die eigenen Fähigkeiten auszubauen, sich für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu qualifizieren und Geld zu verdienen. In sechs Jahren hat sich das Konzept bewährt. Nun jedoch steht es auf der Kippe. Und die Jobs für die Behinderten sind in Gefahr. Der Grund: Die niedersächsische Finanzverwaltung sitzt dem Sozial-Unternehmen im Nacken.

Dieter Haase, Geschäftsführer der Behinderten-Werkstätten, erläutert, worum es geht: Bisher wurde für sämtliche Dienstleistungen und Produkte der gemeinnützigen Einrichtung ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von sieben Prozent (statt der sonst üblichen 19 Prozent) veranschlagt. Dieses Steuerprivileg soll Nachteile für die Behinderten-Werkstätten ausgleichen. Die Finanzverwaltung in Hannover hat jedoch neue Vorschriften erlassen. Nach denen soll der ermäßigte Steuersatz nur noch auf die Umsätze aus dem engeren Werkstattbereich, also aus dem Verkauf selbst hergestellter Waren und aus Werkleistungen, angewendet werden. Somit greift für die von den Behinderten-Werkstätten im Café Clüverhaus verkauften Produkte jetzt der normale Umsatzsteuersatz von 19 Prozent.

Die Folgen sind fatal. Das Sozial-Unternehmen kann die Preise für seine Leistungen und Produkte nicht so stark erhöhen, dass es die Vorgabe der Finanzverwaltung kompensieren könnte. Deshalb fallen unterm Strich die Erlöse deutlich geringer aus. Haase warnt: „Es könnte sein, dass wir die Arbeitsplätze im Clüverhaus auf Dauer nicht mehr halten können.“ Auch andere Bereiche der Behinderten-Werkstätten sind von den neuen Steuervorschriften betroffen – so zum Beispiel die 14 Jobs in der Gartenbautruppe, deren Beschäftigte städtische Grünanlagen pflegen. Auch hier gilt jetzt eine Umsatzsteuer von 19 Prozent.

Mittelfristig sind also mehr als 20 Arbeitsplätze der Achimer Behinderten-Werkstätten gefährdet. Als weitere Konsequenz will Haase nicht ausschließen, dass sein Unternehmen gezwungen sein könnte, die Löhne von rund 200 Menschen, die direkt in den Behinderten-Werkstätten in Bierden beschäftigt sind, zu senken.

Die Finanzverwaltung in Hannover beruft sich auf eine Änderung im Umsatzsteuergesetz aus dem Jahre 2007. Die Achimer Behinderten-Werkstätten waren die erste gemeinnützige Einrichtung in Niedersachsen, die sich der Fiskus vorgenommen hat. Inzwischen hat es auch die Behinderten-Werkstätten in Hildesheim erwischt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband betonte, vielen Einrichtungen in Niedersachsen, die Behinderte beschäftigen, drohten auch hohe Nachzahlungen. Der Verband sieht zahlreiche Arbeitsplätze in den Einrichtungen in Gefahr.

Massive Kritik übt die CDU. Sie spricht von einer Steuerpolitik auf Kosten der Behinderten. Die CDU-Abgeordnete Andreas Mattfeldt (Langwedel) und Adrian Mohr (Dörverden) haben eine Anfrage an das niedersächsische Finanzministerium gerichtet und stellen fest, der Bund habe keine gesetzlichen Änderungen vorgenommen, die eine derartige Neuauslegung der Rechtslage rechtfertige. „Es obliegt den Ländern, die Steuergesetze auszulegen und somit habe die Landesfinanzverwaltung abschließend zu entscheiden.“ So gelte etwa in Bayern für die Werkstätten für Behinderte weiterhin der ermäßigte Steuersatz, merken Mattfeldt und Mohr an. Dagegen werfe die niedersächsische Landesregierung diesen Einrichtungen „Knüppel zwischen die Beine“.

Das Finanzministerium in Hannover weist den Vorwurf der restriktiven und überzogenen Steuerpolitik gegenüber Behindertenwerkstätten zurück. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, es stimme nicht, dass die neuen Rechtsvorschriften in Niedersachsen enger oder restriktiver ausgelegt würden als bisher oder im Verhältnis zu anderen Bundesländern. Es handele sich um bundeseinheitliche Regelungen, die überall angewandt würden, so der Sprecher. Für die Erläuterungen der Finanzbürokraten im fernen Hannover hat Jutta Schilke kein Ohr. Sie betreut das Service-Team im Café Clüverhaus in Achim. „Ich glaube nicht, dass der Finanzminister den richtigen Blickwinkel hat“, erklärt sie. „Wir vermissen die Wertschätzung für die Arbeit, die hier geleistet wird.“

aus Verdener Nachrichten vom 18.04.2015