Kommt Fracking durch die Hintertür?

VON NORBERT HOLST
UND MICHAEL KERZEL
Berlin·Verden. Was, wenn Wladimir Putin plötzlich den Gashahn zudreht? Wie können wir unabhängiger von russischen Erdgas-Lieferungen werden? Welche Potenziale hat Deutschland, seine Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen? EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat jetzt in die Debatte eingegriffen und fordert einen neuen Anlauf für das umstrittene Fracking-Verfahren bei der Erdgasgewinnung aus Schiefergestein. „Wir sollten das Thema Fracking nicht vorschnell unseren Vorurteilen opfern“, sagt der CDU-Politiker. Er schlägt vor, „an einem geeigneten Ort ein Demonstrationsprojekt“ zuzulassen.

Auch der Vize-Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs, hat sich für Pilotprojekte ausgesprochen. „Fracking kann uns eine riesige Chance bieten, in großem Stil unabhängig von russischem Gas zu werden“, wird Fuchs in der „Rheinischen Post“ zitiert. „Wir brauchen so schnell wie möglich mehr Pilotprojekte, um das Potenzial von Fracking einschätzen zu können“, meint der CDU-Politiker. Auch der SPD-Spitzenkandidat für die Kommunalwahl in Düsseldorf, Thomas Geisel, spricht sich für einen Versuchsbetrieb aus. Manche Regionalpolitiker an Rhein und Ruhr sehen im Fracking eine Chance, weil bergmännisches Know-How in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist.

Gegenwärtig gibt es für das sogenannte unkonventionelle Fracking – bei dem unter hohem Druck ein Gemisch aus Chemikalien und Wasser in den Boden gepresst wird, um Erdgas zu fördern – in Deutschland eine Art Moratorium. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird Fracking als eine „Technologie mit erheblichem Risikopotenzial“ eingestuft. Allerdings lässt der Vertrag eine Hintertür offen: Das Verfahren kann weiter erforscht werden. Nach Informationen unserer Zeitung arbeiten das Wirtschafts- und das Umweltministerium an einem Gesetzentwurf zum Bergbaurecht. Damit sollen die Regeln sowohl für die herkömmliche Erdgasförderung als für die unkonventionelle Fracking-Methode präzisiert werden. Die Ministerien wollen das Papier im Sommer vorlegen.

Teile der Energie-Industrie haben die Hoffnung auf die Gasförderung aus Schiefergestein noch nicht aufgegeben. So hat Exxon vor wenigen Tagen eine sogenannte Aufsuchsgenehmigung für ein Erdgasfeld im Münsterland bekommen. Damit darf der Konzern zwar kein Fracking betreiben, kann aber das Feld erkunden. Für Aufregung sorgt gegenwärtig auch eine Erkundungslizenz für die britische Firma Rose Petroleum in der Oberpfalz. Laut örtlichen Medienberichten hatte das Unternehmen zunächst auch von „unkonventionellen Methoden“ bei der Untersuchung gesprochen, korrigierte sich aber später.

„Ich sehe die Entwicklung im Moment sehr, sehr skeptisch“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt. Für den Fracking-Kritiker aus Langwedel wird die Diskussion um die Energiesicherheit missbraucht, um Fracking schönzureden. So sei es unverständlich, dass in der momentanen Lage eine Erdöl- und Gas- Fördertochter wie RWEDea an einen russischen Oligarchen verkauft werde. „Wir können nicht nach Sanktionen rufen und dann solch ein Unternehmer verkaufen“, kritisiert Mattfeldt. Für die SPD-Bundestagsabgeordnete Christina Jantz ist der Konflikt zwischen EU und Russland „kein Grund, dem Fracking eine weitere Chance zu geben“. Vielmehr solle die Energiewende vorangetrieben werden, um die Eigenversorgung zu verbessern, betont die SPD-Politikerin aus dem Wahlkreis Osterholz-Verden.

Als „ziemlich unausgegoren“ bezeichnet Andreas Noltemeyer, Sprecher der Bürgerinitiative „No Fracking“ in Völkersen, die Aussagen Oettingers. „Wer vorher für Fracking war, kann jetzt die plakative Aussage hinterherschieben, dass wir durch Fracking unabhängiger von russischem Erdgas wären.“ Die hiesigen Erdgasreserven reichten sowieso nicht, dadurch sei die Selbstversorgung sehr begrenzt, sagt Noltemeyer. Der BI-Sprecher ist vom neuen Vorstoß nicht überrascht: „Wir haben erwartet, dass Politiker die Situation in der Ukraine dafür nutzen, Fracking anzupreisen.“

aus Verdener Nachrichten vom 28.03.2014