Verden/Achim – Der Landkreis Verden soll zerschlagen werden, zumindest zur nächsten Bundestagswahl. Das sehen aktuelle Pläne des niedersächsischen Innenministeriums vor, die Ende vergangener Woche offenbar zunächst nur Beteiligten zugesandt wurden. Sechs offizielle Seiten mit weißem Niedersachsenross auf rotem Grund, die der Redaktion vorliegen. Demzufolge würde der Landkreis Verden zum Teil dem Landkreis Rotenburg, zum Teil aber auch dem Landkreis Nienburg zugeschlagen. Konkret sollen die Stadt Verden, der Flecken Langwedel und die Gemeinde Kirchlinteln dem Wahlkreis Heidekreis/Altkreis Rotenburg angeschlossen, die Stadt Achim, der Flecken Ottersberg, die Samtgemeinde Thedinghausen und die Gemeinden Oyten und Dörverden dem Wahlkreis Diepholz/Nienburg einverleibt werden. Der bisherige Wahlkreis Verden/Osterholz wäre aufgelöst.

Erste Politiker laufen bereits Sturm gegen diese überraschende Wende im Ringen um weniger Wahlkreise und weniger Bundespolitiker. „Ein zerschlagener Landkreis Verden, das ist ein Gebilde, das unnatürlicher nicht sein kann“, wettert bereits der Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt. Der Christdemokrat wittert Vetternwirtschaft, eine Zusammenarbeit unter Sozialdemokraten: „Der neue Zuschnitt ist jetzt voll auf Vorteil Lars Klingbeil ausgerichtet, dessen Wahlkreis eigentlich alle Parameter reißt und angefasst werden müsste.“

Klingbeil bestätigt auf Nachfrage die Pläne, weist aber auch auf eine neue Entwicklung hin. „Alle Modelle, die gerade im Raum stehen, gehen davon aus, dass die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert wird, wie es der Bundestag 2020 beschlossen hat“, erklärt er. Die Ampelkoalition plane aktuell allerdings einen anderen Weg. Die bestehende Zahl von 299 Wahlkreisen solle erhalten bleiben und es werde dann nur eine entsprechende Zahl von Listenmandaten geben, sodass über diesen Weg der Bundestag deutlich verkleinert werde. „Wir gehen mit diesem neuen Vorschlag nun in die parlamentarischen Beratungen“, so Klingbeil.

Die niedersächsischen Sozialdemokraten wissen davon offenbar nichts. Das vorliegende Papier, das im Lande kursiert, ist nicht der erste Versuch des niedersächsischen Innenministers, eine Reform für die Bundestagswahl auf den Weg zu bringen. Schon Anfang September hatte Boris Pistorius (SPD) einen Vorschlag für einen neuen Zuschnitt vorgelegt. Damals war der Landkreis Verden komplett, immerhin noch komplett, dem Landkreis Nienburg zugeschlagen worden. Schon damals regte sich Widerstand aus Unionskreisen. „Die Wahlkreise, die künftig zu klein sind, liegen im Osten Niedersachsens. Diese Regionen bleiben verschont, offenbar, weil es Wahlkreise mit SPD-Mehrheiten sind“, erklärt auf Nachfrage CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Mathias Middelberg.

Ursache für die neue Wahlkreis-Struktur sind die ambitionierten Pläne, den Bundestag zu verkleinern und rund 20 Wahlkreise deutschlandweit aufzulösen. Demzufolge müsste jeder kommende Wahlkreis durchschnittlich eine Viertelmillion Einwohner aufweisen. Das Problem: Aktuell würde ausgerechnet der Wahlkreis Klingbeils niedersachsenweit am weitesten hinterherhinken. Der Heidekreis, kombiniert mit dem Altkreis Rotenburg, läge bei einem Minus von rund 23 Prozent. In einem ersten Wahlkreis-Entwurf hatte der Innenminister noch Zeven, Tarmstedt und Sittensen draufgeschlagen, die sowieso zum Landkreis Rotenburg gehören. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Verden, Kirchlinteln und Langwedel sollen die Lücke auffüllen.

Widerstand hatte es nach dem ersten Vorschlag von ganz anderer Stelle gehagelt. Aus dem Raum Cloppenburg/Vechta. Massiv trommelten Vertreter aller politischer Richtungen für einen Erhalt der dortigen Region – offenbar mit Erfolg.

Die Opfer der aktuellen Wahlkreisreform kommen aus der Landesmitte und treffen vorrangig Regionen, in denen CDU-Vertreter das Rennen machten. Sowohl der Landkreis Verden wird zerschlagen als auch der Landkreis Diepholz. Im Innenministerium ist die Brisanz nicht unbekannt. „Dadurch würden zwei Wahlkreise entstehen, die jeweils Gemeinden aus drei unterschiedlichen Landkreisen umfassen würden.“ Das sei aber hinnehmbar, heißt es weiter, weil dann die Wahlkreise Cloppenburg/Vechta, Oldenburg/Ammerland, Osnabrück-Land und Osnabrück-Stadt erhalten blieben.

Tatsächlich ist der Landkreis Verden nicht zum ersten Male in einen wahltaktischen Strudel geraten. Ursprünglich gehörten Verden und Rotenburg zusammen, daraus wurde Verden/Osterholz, dann in einem Vorschlag von Ende August Verden/Nienburg und jetzt die komplette Zerstückelung. Die Folgen vor allem der letzten Lösung fallen gravierend aus: Der Landkreis hätte nicht mehr einen direkten Vertreter in Berlin, er hätte zwei und müsste sich mal an diesen, mal an jenen Abgeordneten wenden. Fördergelder, die aktuell in hohem Umfang in den Raum um Allermündung und Weser fließen, drohten zu versiegen.

Sollte der aktuelle Vorschlag tatsächlich bestätigt werden, müsste sich der halbe Landkreis Richtung Westen orientieren. Achim, Ottersberg, Oyten, Thedinghausen und Dörverden säßen nicht nur in einem Boot mit dem Landkreis Nienburg, sondern auch mit Kommunen wie Syke, Sulingen, Bruchhausen-Vilsen, Siedenburg, Kirchdorf und Weyhe. Die übrigen drei Kommunen, die Stadt Verden und die Gemeinden Langwedel und Kirchlinteln würden nicht nur dem Heidekreis, sondern darüber hinaus Scheeßel, Fintel, Bothel, Visselhövede, Sottrum und Rotenburg zugeordnet.

VAZ 05.10.2022