Kulturelle Gräben überspringen

Kulturelle Gräben überspringen

Ministerin Aygül Özkan in Verden: Integration ist keine Einbahnstraße

Von Anke Landwehr Verden. Integration ist: „Wenn sich alle aufeinander zubewegen.“ – „Keine Einbahnstraße.“ – „Das Überwinden des Fremdseins.“ – „Der Schlüssel zu ihrem Gelingen ist die Sprache“. Was Aygül Özkan, Niedersachsens Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Integration, bei ihrem Auftritt am Dienstagabend im Dauelser „Eichenkrug“ zu sagen hatte, ließ einige Zuhörer konsterniert zurück.
„Und was hat das jetzt gebracht?“, fragten sich Umut Ünlü, Vorsitzender des Vereins TürkSport, S.ine Stellvertreterin Nadine Beglau und Trainer Herbert Kamp. Ünlü hätte gerne neben Ertan Ünlü, dem Vorsitzenden der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) in Verden, auf dem Podium gesessen. Dann hätte er nicht von seinem Platz an einem der hinteren Tische berichten müssen, dass Türksport seiner Meinung nach Integration bereits lebt. „Wir sind der einzige Verein in Verden mit einer Frauenmannschaft, und wir haben eine Deutsche im Vorstand.“

Zu der Veranstaltung eingeladen hatte der CDU-Stadtverband, der im vergangenen Herbst bereits beim türkisch-islamischen Verein zu Gast gewesen war. „Und schon bei diesem ersten Kontakt sind sofort Vorurteile abgebaut worden“, verkündete der CDU-Landtagsabgeordnete Wilhelm Hogrefe. „Da saßen nicht nur alte Männer.“ Neben jungen Leuten sei man auch auf Frauen getroffen, und die hätten nach seinem Gefühl sogar mehr geredet als die Männer, staunte der Politiker und stellte fest, dass es „im Raum Verden mit der Integration nur kleine Probleme gibt, aber es gibt sie“.
Aus dem Publikum meldete sich Wolfgang Schmidtke zu Wort. An der von ihm geleiteten Verdener Hauptschule würden Schüler aus 17 Nationen unterrichtet: „Das funktioniert wunderbar, aber wir haben ein soziales Problem.“ Bildungsverweigerung laufe über in archaischen Verhältnissen lebende Eltern, die „sehr schwer“ zu erreichen seien. Schmidtke: „Die Kinder sind vollkommen heimatlos, auch emotional.“ Diese Entwicklung habe vor etwa 20 Jahren begonnen und sich seither kontinuierlich verschlechtert. Dabei hätten die Schüler viel Potenzial, das dürfe man nicht verkümmern lassen.
Eine pensionierte Grundschullehrerin sah eines der Übel in der „Aussortiererei nach der vierten Klasse.“ Sie trat außerdem dafür ein, Türkisch als anerkannte Sprache an den Schulen zuzulassen. „Sonst können die Kinder keine Sprache richtig.“ Damit fand sie den Beifall von Ertan Ünlü. Ute Nelle von der Kinderarche sprach von „tollen Erfolgen“, die ihr Verein mit der ehrenamtlichen Förderung von Kindern gemacht habe. „Wir haben es geschafft, dass einige von ihnen die Realschule besuchen.“
Ministerin Özkan berichtete von den Bemühungen des Landes, mehr Lehrer türkischer Herkunft einzustellen, um so auch die kulturellen Gräben zu Eltern überspringen zu können. Die heutigen Probleme rührten aus Fehlern der Vergangenheit. Zum einen sei es versäumt worden, das Erlernen der deutschen Sprache zu verlangen. Zum anderen sei der Beitrag der türkischen Arbeitnehmer zum deutschen Wohlstand nie anerkannt worden. Folge: „Jedes Jahr gehen 40000 junge, gut ausgebildete Menschen zurück in die Türkei. Sie sind es leid, sich hier ständig für ihre Herkunft rechtfertigen zu müssen.“ Für den deutschen Arbeitsmarkt sei diese Abwanderungsbewegung fatal.
Hatte Ertan Ünlü erklärt, dass sich der Ditib schon sehr geöffnet habe, forderte die Politikerin von der Türkisch-Islamischen Union, mehr „nach außen zu gehen“. Özkan: „Es muss immer Jemanden geben, der treibt. Sonst bewegt sich nichts.“
Auf dem Podium saß auch Lilia Soljanski vom Aussiedlerverein „Kontakte“, die nur kurz zu Wort kam. Die Aussiedler hätten keine Probleme, erklärte sie. „Wir haben uns hier gut eingelebt – außer denen, die die Sprache nicht so beherrschen.“ Der CDU-Landtagsabgeordnete Wilhelm Hogrefe erklärte, die Union werde zu weiteren Integrationsveranstaltungen einladen.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Verden Stadt und Land Seite: 1 Datum: 05.05.2011