Mattfeldt lädt Mädchen aus der Ukraine in den Bundestag ein

18. August 2022
Pressespiegel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schülerinnen aus der Ukraine auf den Spuren des Urgroßvaters, der Zwangsarbeiter war

VON HENNING LEESKE

 

Horstedt – Im Zweiten Weltkrieg kam ihr Urgroßvater unter Zwang nach Deutschland. Nun besuchten die Urenkelinnen des Ukrainers Peter Lawrenuk den Ort, an dem er einst als Zwangsarbeiter etwa zweieinhalb Jahre seines Lebens verbrachte: Horstedt.

Die beiden 15-jährigen Ukrainerinnen Darina Bondar und Angelina Aderiho wandelten auf den Spuren ihres Urgroßvaters, der von 1942 bis zum Sommer 1945 im idyllischen Weserdorf als Landarbeiter war.

Die Horstedter Randi Wahle und Karsten Dierks erinnern sich noch sehr gut an die Zeit, als die Osteuropäer als Arbeitskraft auf den Höfen eingesetzt wurden, weil die einheimischen Männer oft Kriegsdienst leisten mussten. „Es war reiner Zufall, dass Peter bei uns in Horstedt gelandet ist“, erinnert sich Dierks.

Nach sechs Tagen Anreise im Waggon seien die Zwangsarbeiter zunächst in Dibbersen für kurze Zeit untergebracht gewesen. Danach verteilte man sie auf die Ortschaften zum Arbeitseinsatz. So wurden die Landarbeiter in Horstedt erst im ehemaligen Backhaus einquartiert, das aber abbrannte. Dann bekam Peter Lawrenuk letztendlich sein Quartier auf dem Hof von Familie Wahle, wo er den leider inzwischen verstorbenen Manfred Wahle als damals fünfjährigen Jungen kennenlernte.

Auch Karsten Dierks hatte Kontakt zu den Zwangsarbeitern. Er erzählt, dass die Horstedter immer großes Interesse daran hatten, was aus den Menschen geworden ist, die in den Kriegsjahren mit ihnen Tisch und Arbeit geteilt hatten. Direkt nach dem Krieg mussten sie nämlich in ihre Heimat zurückkehren. „Eigentlich sollten sie gar nicht mit uns am selben Tisch essen, aber wir in Horstedt sahen das anders“, berichtet Dierks.

Ein Brief von Peter Lawrenuk im Jahre 1994 stellte den Kontakt nach Horstedt wieder her. „Er war einfach an Horstedt im Landkreis Braunschweig adressiert und kam an“, so Dierks. Denn bis 1972 gehörte Thedinghausen noch zu Braunschweig.

Lawrenuk habe in seiner Horstedter Zeit auch gut Deutsch gelernt, sodass der Austausch über die gemeinsame Zeit leicht war. Schließlich machten sich Manfred Wahle, Randi Wahle und Karsten Dierks 1994 gemeinsam mit dem Auto auf den Weg in das Heimatdorf Worobiewka zwischen Lemberg und Kiew.

„Das war eine Risikoreise. Wir wussten gar nicht, wo das kleine Dorf liegt. Nach dem Krieg waren wir die ersten Deutschen, die dorthin kamen“, schilderte er das Abenteuer im Audi 100.

Glücklicherweise wurden die Horstedter direkt an der Grenze von ihren Gastgebern abgeholt. „Wir mussten nur die Motorhaube aufmachen“, erinnert sich Randi Wahle. Ihren Ehemann Manfred habe Peter Lawrenuk gleich wiedererkannt. „Damals in Horstedt war Manfred doch noch so klein, sagte Peter gleich“, schildert sie das Wiedersehen nach Jahrzehnten.

Leichter war da die Anreise der beiden Urenkelinnen nach Horstedt. Der direkte Bus aus der Kreisstadt Chmelnyzkyj nach Bremen dauerte 20 Stunden.

In drei Wochen lernten sie die Gemeinde Thedinghausen bei ihren Gastgeberinnen Ulrike Siering und Karin Bergmann, den Töchtern von Karsten Dierks, intensiv kennen. „Wir haben ihnen unsere Berufe und andere Highlights unserer Heimatgemeinde gezeigt“, berichtet Bergmann. So sahen sie die Klinik, in der Bergmann im Labor arbeitet, und bekamen von ihrem Ehegatten Hardy Bergmann eine ganz persönliche Stadionführung im Weserstadion. Das anschließende Bundesligaspiel von Werder Bremen gegen den VfB Stuttgart war ein weiterer Höhepunkt. „Ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen“, zeigt sich Darina Bondar von dem Erstligaspektakel begeistert und betont, dass sie seit Langem Fans von Werder Bremen seien.

Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sei die Reise auf den Spuren des Urgroßvaters eine willkommene Abwechslung, aber die Sorge um die Heimat sei immer im Hinterkopf. Denn Angelina Aderiho habe in Chmelnyzkyj, wo sie zur Schule geht, auch schon Bombardements des russischen Aggressoren erlebt. Während der letzten Tage in Horstedt seien ihre Schulferien auch schon beendet gewesen und die beiden verfolgten den Unterricht per Zoom online – außer am letzten Tag in Horstedt. Denn ein Luftalarm in der Heimat sorgte für das abrupte Ende des Unterrichts und die beiden Schülerinnen waren mit ihren Gedanken ganz bei ihren Mitschülern zu Hause.

Die Kommunalpolitikerin Karin Bergmann hatte die beiden jungen Gäste auch gleich zu einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Parteifreunde nach Döhlbergen mitgenommen.

Dort lernten sie den örtlichen Bundestagsabgeordneten Andreas Mattfeldt kennen, der sie spontan zu einem Besuch in den Deutschen Bundestag einlud. Auf ihrer Heimreise in die Ukraine machen sie eine Stippvisite in die Bundeshauptstadt und werden das höchste Gremium der Demokratie in Deutschland unter fachkundiger Anleitung besichtigen.

Verdener Aller-Zeitung vom 18.08.2022