Ministerin Aygül Özkan besuchte Einrichtungen in Lilienthal

Bundesweit einmalig
 
Sie kam direkt aus Hannover und war sofort präsent: die Ministerin Aygül Özkan
 
von Jörg Rakowski

Sie kam direkt aus Hannover und war sofort präsent. Die Ministerin Aygül Özkan erfreute ihre Gastgeber in Lilienthal mit hoher Auffassungsgabe und starkem Interesse an der Sache. Der erste von zwei Besuchen in sozialen Einrichtungen der Gemeinde Lilienthal führte die Ministerin in die Räume der Janusz-Korczak-Geschwisterbibliothek in Worphausen.

Unscheinbar an der Straße nach Worpswede in einem hübschen Häuschen untergebracht, ist sie eine „bundesweit einmalige Sache“, wie die Leiterin und Initiatorin der Bücherei Marlies Winkelheide bei ihrer Begrüßung betonte. Die Abgeordneten des Bundestages in Berlin und des Landtages in Niedersachsen, Andreas Mattfeld und Axel Miesner, war es gelungen die Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration vor einem halben Jahr für besonders engagierte Einrichtungen in ihren Wahlkreisen zu interessieren.

Marlies Winkelheide leitet nun schon über 30 Jahre Seminare für die Geschwister von Kindern mit Behinderungen. Aygül Özkan, Andreas Mattfeld und Axel Miesner ließen sich von ihr berichten, wie alles begann.  
Diese Kinder, so wäre es ihr schon damals von betroffenen Eltern angetragen worden, „brauchen Unterstützung, um in ihrer Familie, für die die Betreuung eines Kindes mit Behinderungen häufig eine große Belastung darstellt, mit Selbstbewusstsein und Freude leben zu können. In der Schule zum Beispiel wird diese Situation der Kinder nicht besprochen, in Zeiten von Integration und Inklusion sowieso immer weniger.“

So richtete sie schon damals Wochenendseminare für Kinder ein, die dort die Gelegenheit haben, sich mit ihrer besonderen Situation auseinanderzusetzen und auch Kinder kennen zu lernen, denen es ebenso geht wie ihnen. Die Kinder freuen sich sagen zu können: „Ich habe Rückhalt in der Geschwistergruppe.“ In ihrer Arbeit richtet sich Marlies Winkelheide nach den Maßstäben des Pädagogen Janusz Korczak, der in der Zeit des Nationalsozialismus die ihm anvertrauten jüdischen Kinder eines Kinderheimes mit Aussicht auf seinen und deren sicheren Tod ins Vernichtungslager Treblinka begleitete.

Marlies Winkelheide, selber in einer ungewöhnlichen Geschwisterkonstellation mit adoptierten vietnamesischen Geschwistern aufgewachen, hat dieses Thema ein Leben lang begleitet. Nachdem sie schon früh begonnen hatte, Literatur zum Thema Geschwister zu sammeln, leitet sie heute ebenfalls eine Bibliothek mit mehr als 3000 Bänden, die Fachleuten aber auch interessierten Laien für Recherche zur Verfügung steht.

Sowohl diese Bibliothek, die sie seit 2009 in Worphausen führt, als auch ihre Geschwistersemiare sind bundesweit einmalig.  Aygül Özkan  freute sich, dass dieses Engagement von Marlies Winkelheide von Niedersachsen aus auch auf andere Bundesländer ausstrahlt. Diese konnte berichten, dass an ihren Seminaren „momentan Kinder aus sieben Bundesländern teilnehmen“.
Bemerkenswert war, dass die Ministerin, als die Sprache auf Familien mit Migrationshintergrund kam, betonte, „Behinderung ist in Migrantenkreisen noch oft ein Tabuthema“. Marlies Winkelhage bemerkte an dieser Stelle, dass die Begleitung von Kindern aus Migranten-Familien für sie eine Selbstverständlichkeit darstelle und sie sich immer dessen bewusst sein möchte, was die jeweilige Kultur des Kindes zum Thema Behinderung sagt.

Nach einem gemeinsamen Gang durch die kunterbunten Räumlichkeiten, hörte Marlies Winkelhage erfreut, dass Andreas Mattfeld sich für ein finanzielles Engagement des Bundes zugunsten ihrer Einrichtung stark machen will, da er nicht unmaßgeblich an Entscheidungsprozessen rund um die Verteilung von Fördermitteln beteiligt ist. Die Geschwisterbücherei finanziert sich bisher mit Geldern der Kroschke-Stiftung für Kinder und von privaten Spenden. Getragen wir sie vom Verein Stimme e.V. Es verabschiedete sich an diesem Nachmittag in Worphausen eine gut gelaunte Ministerin und eilte zum nächsten Termin in der Bürgerstiftung Lilienthal.

Beim dortigen kurzen Besuch von  Aygül Özkan, Andreas Mattfeld und Axel Miesner, hatte die Vorsitzende der Bürgerstiftung, Christa Kolster-Bechmann Gelegenheit, auch in Gegenwart von Bürgermeister Willy Hollatz auf die Besonderheiten der Arbeit der Bürgerstiftung hinzuweisen. Speziell am Herzen liege ihr die Förderung der Bildung von Kindern.

Dafür hat sie bereits 2006 die Kinderakademie Lilienthal gegründet, in deren Kursen Kinder spielerisch forschen und lernen können.
Ein weiterer Schwerpunkt ihres Engagements ist beispielsweise die Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund in der Hausaufgabenhilfe. „Tatsache ist, dass durch das momentan niedrige Zinsniveau der Banken die Arbeit von Stiftungen erschwert wird“, wandte sie sich bedauernd an die mitgereisten politischen Entscheidungsträger. Es dürfte klar sein, dass ein finanzielles Engagement der Politik gerade auch für den sozialen Bereich von Nöten ist, weil Wirtschaftsförderung allein keine gemeinsame kulturelle Identität eines Landes erhalten kann. Es gilt, Spannungen klug vorzubeugen.

Frau Özkan vermittelte bei ihrem Besuch in Lilienthal den Eindruck, dass sie sich dieser Zusammenhänge durchaus bewusst ist. 

 

aus: Osterholzer Anzeiger, 03.08.2012 Lilienthal