„Putin kämpft mit anderen Spielregeln, als wir es erwarten“
7. März 2017
Einblicke in die Seele Russlands und in den russischen Machtapparat sowie klare Worte zu den deutsch-russischen Beziehungen gab es bei einer von knapp 150 Zuhörern besuchten Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Hotel Tivoli in Osterholz-Scharmbeck. Der Journalist, langjährige Leiter des Moskauer Büros des Focus-Magazins und Buchautor Boris Reitschuster sprach über die Menschen in seiner zweiten Heimat und Putins verdeckten Krieg sowie seine Versuche, den Westen zu destabilisieren.
Bereits bei meiner Einführung in das Thema habe ich klargestellt, dass Russland für mich eng an Europa angebunden gehört. Das geht nur in Freiheit und Wohlstand und hat seinen Preis. Das Schlimmste ist, wenn man nicht mehr miteinander spricht und die Tür für Gespräch zuschlägt. Wir reichen Russland schon lange die Hand. Es sind für Präsident Wladimir Putin nur kleine Schritte nötig, um sie zu ergreifen.
Bei allem Wohlwollen von deutscher Seite muss aber klar sein: In Russland haben wir es mit einem Raubtier-Kapitalismus zu tun. Ich wundere mich immer wieder darüber, dass ausgerechnet die Linke diesen Kurs so uneingeschränkt unterstützt. Ich habe auch eindringlich vor einem weiteren Ausverkauf deutscher Energieversorgungsunternehmen in russische Hände gewarnt. Es ist nicht nachvollziehbar für mich, dass RWE die Gas-Sparte DEA nach Russland verkaufen durfte. Wir hätten Möglichkeiten gehabt, diesen Deal und damit den Ausverkauf deutschen Erdgases mit dem Außenwirtschaftsgesetz zu unterbinden.
Journalist Boris Reitschuster sprach bei seinem Vortrag von der fortgesetzten Unterwanderung der Europäischen Union und damit auch Deutschlands durch den russischen Staat. Moskau habe europaweit engste Kontakte zu rechts- und linksextremen Gruppen. Beispielsweise gehen führende AfD-Politiker in der russischen Botschaft in Berlin ein und aus und halten dort ‚Strategiesitzungen‘ ab. Anders, als zur Zeit des kalten Krieges geschehe laut Reitschuster diese Unterwanderung der freiheitlichen Grundordnung nicht allein mit militärischen Mitteln und durchschaubaren Schachzügen: Heute profitiert Putin zum einen davon, dass das West-Netzwerk der Staatssicherheit der DDR nach der Wende nie enttarnt worden ist. Zum anderen nutzen der Geheimdienst und Putin die teuersten PR-Agenturen der USA für ihre Propagandazwecke. Da wächst das Schlechteste aus zwei Systemen zusammen und wird zum gefährlichen Monster.
Diese Mittel, so Reitschuster, nutze Russland, um das Vertrauen in die Demokratie grundlegend zu erschüttern. Im deutschen Fernsehen seien beispielsweise ausschließlich russischsprachige Propaganda-Sender frei zu empfangen, nicht etwa die Kreml-Kritischen. Sie beeinflussten mit ihren Hass-Botschaften und verdrehten Wahrheiten drei bis vier Millionen russisch sprechende Menschen in unserem Land. Das sei zuletzt im Fall des angeblich von Flüchtlingen vergewaltigten Mädchens „Lisa“ deutlich geworden. „Putin zertritt unsere Friedensordnung. Er kämpft mit anderen Spielregeln, als wir es erwarten“, warnte Reitschuster das seinem engagierten Vortrag gebannt lauschende Publikum.
Auf eine Nachfrage aus dem Publikum mahnte Reitschuster: „Es spricht nichts dagegen mit den Russen ähnliche Geschäfte zu machen, wie mit den Chinesen. Aber eine Wertepartnerschaft ist das definitiv nicht.“ Es sei an der Zeit, die Reiseerleichterungen für die russische Elite zurückzunehmen. Das treffe sie am härtesten. Die Sanktionen müssten aufrechterhalten werden, „solange in der Ukraine noch Menschen nur deshalb sterben, weil Wladimir Putin das duldet. Ein Wort von ihm würde reichen, um das Töten zu beenden.“
Der Journalist hat 16 Jahre das Moskauer Focus-Büro geleitet, spricht fließend Russisch und gilt in seiner zweiten Heimat als regime-kritischer Berichterstatter. 2011 hat er nach Drohungen gegen ihn das Land verlassen. Auch in Deutschland sei es für Kreml-Kritiker gefährlich, meinte Reitschuster.