Raus aus Merkels Schatten

Norbert Holst über die Große Koalition

Auf geht‘s für die Große Koalition in die zweite Halbzeit

Nach der parlamentarischen Sommerpause nimmt der Bundestag an diesem Montag seine Arbeit wieder auf, die Bundesregierung agiert wieder in voller Besetzung.

Auch ansonsten ist alles wie immer. Angela Merkel ist im August zum zehnten Mal als Kanzlerin aus dem Sommerurlaub zurückgekommen, für sie läuft es wie so oft in den vergangenen Jahren bestens: Die Umfragewerte sind prima, der Koalitionspartner schwächelt. So ging es vor vier Jahren der FDP, so war es vor acht Jahren schon einmal für die SPD. Auch Horst Seehofers CSU ist in die Enge getrieben: In Berlin hat sie drei weitgehend unauffällige Minister, mit den Lieblingsthemen Betreuungsgeld und Pkw-Maut hat man sich nach Kräften blamiert. Schwierige Zeiten also für SPD und CSU.

Dabei hat die Groko in ihrer ersten Halbzeit Einiges geleistet: Rentenreform, Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, Haushaltskonsolidierung sind die Stichworte. In Hälfte zwei wird sich die Koalition daran messen lassen müssen, ob sie das Flüchtlingsproblem in den Griff bekommt. Merkel hat auf ihrer Berliner Pressekonferenz nach dem Urlaub das Motto vorgegeben: „Deutsche Gründlichkeit ist super. Aber es wird jetzt deutsche Flexibilität gefordert.“ Damit ist das Thema zur Chefsache geworden.

Für parteipolitisches Hickhack taugt es ohnehin nicht mehr. Die Menschen in Deutschland wollen keine endlosen Debatten, sondern zügiges Handeln. Das haben – nach langem Zaudern – auch die Mitglieder der Bundesregierung erkannt und einen Flüchtlingsgipfel angesetzt. Doch wie die SPD-Forderung nach einem Einwanderungsgesetz und dessen forsche Ablehnung durch die CSU unter einen Hut zu bringen sind, das bleibt vorerst ein Geheimnis. Allerdings fällt auf: Die CSU geht mit dem Thema etwas pfleglicher um als noch vor der Sommerpause.

Auch die beiden großen außenpolitischen Themen der vergangenen Monate taugen für die Koalitionspartner kaum, sich in Szene zu setzen – nicht nur, weil Merkel auf diesem Feld ohnehin kaum zu schlagen ist. Von der griechischen Dauer-Krise sind viele Parlamentarier genervt und dank erneuter Milliarden-Schwemme ist eine Lösung einmal mehr vertagt worden. Ähnlich sieht es in der Ukraine-Krise aus. Immer wieder flackert der Konflikt auf, doch der Vertrag von Minsk hat immerhin eine Atempause gebracht.

So bleiben CSU und SPD nur die innenpolitischen Baustellen, um sich parteipolitisch zu profilieren. Die kommenden Tage im Parlament gehören der Haushaltsdebatte. Dann könnte sich der Streit um die Nutzung der ursprünglich für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel weiter zuspitzen. SPD-Familienministerin Manuela Schwesig will mit dem Geld den Kita-Ausbau vorantreiben. Doch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellt sich quer. Er will die Mittel behalten, um das erhöhte Kindergeld und Hartz-IV-Leistungen zu finanzieren. CSU-Chef Seehofer hingegen hält unbeirrt am Betreuungsgeld fest – obwohl das Bundesverfassungsgericht es gekippt hat. Der bayerische Ministerpräsident plant nun eine Art „bayerisches Betreuungsgeld“ für das Land.

Auch die Verhandlungen um Solidarbeitrag und Länderfinanzausgleich gehen nach der Pause in die nächste Runde. Bleibt die CDU dabei, den Solidarbeitrag auslaufen zu lassen und damit die Bürger zu entlasten? Gibt es genug Geld für Bremen und das Saarland, damit beide Länder handlungsfähig bleiben? Wird endlich ein Weg gefunden, der die Kommunen dauerhaft entlastet?

Ärger könnte es auch bei der Erbschaftssteuer geben. CDU-Wirtschaftspolitiker und große Teile der CSU sind mit dem Gesetzentwurf von Schäuble nicht einverstanden. Ihre Kritik: Der Entwurf komme der Wirtschaft und vor allem mittelständischen Betrieben nicht weit genug entgegen. Die CSU droht damit, sich weiter quer zu legen.

Endlich vom Tisch soll auch das emotional besetzte Thema Fracking. SPD, der Union-Wirtschaftsflügel und die kritische Gruppe um den Langwedeler CDU-Abgeordneten Andreas Mattfeldt ringen noch um Detailfragen. Sie müssen aber aufpassen, dass dieses Thema nicht zur Steilvorlage für die Opposition wird. Denn letztlich geht es auch um die Frage, ob fossile Energieträger den Atomausstieg abfedern sollen.

Für Schwarz-Rot ist es wichtig, schnell Lösungen für die anstehenden Fragen zu finden. Denn je näher die Bundestagswahl 2017 rückt, desto rauer wird das Koalitionsklima werden. SPD und CSU bleibt letztlich gar kein anderer Weg, wenn sie aus Merkels Schatten treten wollen.

norbert.holst@weser-kurier.de

Weser Kurier vom 07.09.2015