Schenkelbrand weiter erlaubt

Morgen wird der Bundestag die Novelle des Tierschutzgesetzes beschließen. Auch danach bleiben der umstrittene Schenkelbrand bei Pferden, die betäubungslose Kastration von Ferkeln, die Qualzucht von Rassegeflügel und Tierversuche in Deutschland erlaubt.

VON SILKE LOODEN
Berlin·Hannover.Morgen werden die Bundestagsabgeordneten die Novelle des Tierschutzgesetzes mit der Mehrheit von CDU und FDP voraussichtlich am späten Abend durchwinken. 64 Seiten umfasst der Gesetzentwurf aus dem Hause von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Monatelang wurde darüber gestritten. Notwendig wurde die Änderung, weil Deutschland die Tierversuchsrichtlinie der Europäischen Union von 2010 bis Ende des Jahres umgesetzt haben muss.
Aigner wollte die Gelegenheit nutzen und den umstrittenen Schenkelbrand bei Pferden, die ebenfalls umstrittene betäubungslose Kastration von Ferkeln, Qualzuchten von Rassegeflügel und bestimmte Tierversuche verbieten. Die Ministerin aus Bayern scheiterte aber, nicht zuletzt an der Lobby der Landwirte sowie Pferde- und Rassegeflügelzüchter in Niedersachsen. Dabei ist der Tierschutz in Deutschland bereits seit zehn Jahren in der deutschen Verfassung festgeschrieben.
Wenn das Gesetz so in Kraft trete, bleibe es für Millionen Tiere weiter grausam, kritisiert der Deutsche Tierschutzbund im Vorfeld der dritten und letzten Lesung im Bundestag. Der Vorsitzende des Agrarausschusses Hans-Michael Goldmann (FDP) aus Aschendorf (Kreis Emsland) dagegen spricht von „verantwortungsvollen und nachhaltigen Verbesserungen zum Wohl der Tiere.“ Gleichzeitig räumt er aber ein: „Es muss nachgebessert werden.“
Nach dem vorliegenden, überarbeiteten Entwurf werden sowohl die umstrittene Kastration von Ferkeln als auch der Schenkelbrand bei Pferden bis Ende 2018 erlaubt bleiben. Zu teuer ist den Landwirten die Betäubung der Ferkel mit 2,50 Euro pro Tier. 20 Millionen Ferkel werden jedes Jahr in Deutschland kastriert, damit den Fleischkonsumenten der Ebergeruch erspart bleibt. Erlaubt ist die Kastration bis zum siebten Lebenstag der Tiere.
Das Brandzeichen bei Pferden sollte eigentlich durch einen Chip, der unter die Haut gepflanzt wird, ersetzt werden. Das Brandzeichen ist aber auch Markenzeichen, nicht zuletzt für den mächtigen Hannoveraner Verband in Verden. So stritten Befürworter und Gegner monatelang darüber, wie viel Leid die Verbrennungen den Tieren tatsächlich zufügen. Experten widersprachen Wissenschaftlern und umgekehrt. Dabei ist das Chippen in der EU schon heute Pflicht. „Das Chippen macht den Schenkelbrand überflüssig“, sagt denn auch der Präsident des Tierschutzbundes, Thomas Schröder.
Rassegeflügelzüchter liefen Sturm gegen das Ausstellungsverbot von sogenannten Qualzuchten, also Tieren, die unter ihren angezüchteten Merkmalen leiden. Das kann ein besonders großer Kropf bei Tauben sein oder ein besonders langer Kamm bei Hähnen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt aus Langwedel (Kreis Verden) hat sich für die Züchter eingesetzt. Für ihn sind Schenkelbrand sowie Rassegeflügelzucht ein Kulturgut, das es zu schützen gilt.
Mit der Tierschutznovelle habe die Bundesregierung jegliche Glaubwürdigkeit im Tierschutz verloren, meint dagegen die Organisation „Menschen für Tierrechte“ im Bundesverband der Tierversuchsgegner. Das Gesetz unterlaufe sogar die EU-Richtlinie, weil es den Behörden kein eigenständiges Prüfrecht von Tierversuchsanträgen einräume. Sie dürften lediglich feststellen, ob die wissenschaftlich Angaben zu einem Versuch begründet sind. Die Novelle würde die Tierversuche sogar noch ausweiten, zum Beispiel auf gerichtsmedizinische Untersuchungen.
Die Grünen kritisierten, Deutschland verpasse die Chance, Vorreiter im Tierschutz zu werden. Sie hatten einen eigenen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Tierschutzes vorgelegt. Dieser wurde aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ebenso abgelehnt wie der Vorstoß der Linksfraktion für eine Neuregelung der Nutztierhaltung.
Nach dem Bundestag muss noch der Bundesrat entscheiden. Damit kann das Gesetz voraussichtlich erst im Frühjahr in Kraft
treten.

c/c: Weser-Kurier v. 12.12.2012