Um Leben und Tod

Um Leben und Tod

Die Bundestagsabgeordneten debattieren heute über das Thema Sterbehilfe. Sollen Ärzte beim Suizid helfen dürfen? Und gehören Sterbehilfeorganisationen verboten? In diesen Fragen sind sich die Politiker auch innerhalb der Fraktionen uneins.
VON KATHRIN ALDENHOFF

Berlin·Bremen. Im Bundestag geht es heute um Leben und Tod. Und um die Zeit dazwischen, das Sterben. Die Abgeordneten werden über Selbstbestimmung sprechen, über Suizid und über diejenigen, die einem Schwerkranken dabei helfen. Vier Stunden und 20 Minuten sind dafür auf der Tagesordnung eingeplant. Das Ziel ist eine Regelung zur Suizidbeihilfe. Die Vorstellungen, wie die ausfallen soll, liegen weit auseinander. Und das quer durch die Fraktionen.

Andreas Mattfeldt (CDU) aus dem Wahlkreis Osterholz- Verden ist froh, dass die Abgeordneten in dieser Frage nicht dem Fraktionszwang unterliegen, sondern dass jeder für sich entscheidet. Innerhalb der CDU/CSU-Fraktion seien sich zumindest in einem Punkt alle einig: dass es keine organisierte Sterbehilfe geben dürfe. „Mit dem Leid und der Verzweiflung am Lebensende eines Menschen darf man kein Geschäft machen.“ Er selbst wäre aber in Ausnahmefällen für eine ärztlich assistierte Sterbehilfe.

Die Bremerin Elisabeth Motschmann (CDU) hingegen ist strikt dagegen, dass Ärzte bei einem Suizid helfen. Ein Mensch solle nicht durch die Hand eines Menschen sterben, sondern an der Hand eines Menschen. Sie will, dass Hospizarbeit und Palliativversorgung ausgebaut werden, um Schmerzen zu vermeiden. Da ist sie mit Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf einer Linie: Er hatte ein Papier vorgelegt, wonach Hospize auf dem Land finanziell gestärkt werden sollen.

Carsten Sieling (SPD) aus Bremen geht es um das Recht auf selbstbestimmtes Leben – und ein selbstbestimmtes Ende des Lebens. „Ich glaube, dass wir keinem Menschen in schwerer Lage am Ende seines Lebens weiter nur die Alternative lassen dürfen, ins Ausland zu gehen oder in Deutschland in die Illegalität gehen zu müssen.“ Zusätzliche Verbote seien deshalb keine Lösung. Die Grenze sei aber dort erreicht, wo versucht werde, mit dem Leiden der Menschen Geld zu verdienen.

Ein Verbot kommerzieller Sterbehilfe ist auch das, was Heidrun Gitter sich wünscht. Das ist aber auch das Einzige, was die Präsidentin der Landesärztekammer Bremen an der momentanen Situation ändern würde. Sie wehrt sich gegen den Vorschlag einiger Abgeordneter um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbauch und Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU), Ärzten die Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Umständen zu erlauben. „Die Last, die die Gesellschaft nicht tragen will, soll auf den Arzt abgewälzt werden“, sagt die 54-Jährige. Sie findet: „Ein Arzt hat andere Aufgaben, als beim Suizid zu assistieren.“

Zwar ist in Deutschland Beihilfe zum Selbstmord straffrei, wenn der Sterbende den Suizid selbst ausführt. Nur für Ärzte sieht das anders aus: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ So steht es in der Musterberufsordnung, die der Deutsche Ärztetag 2011 verabschiedet hat, und so ähnlich haben es die Landesärztekammern in ihren jeweiligen Berufsordnungen übernommen.

Wer gegen die Berufsordnung verstößt, riskiert eine Rüge, mit oder ohne Geldauflage, oder – bei schwerwiegendem ärztlichen Fehlverhalten – ein berufsrechtliches Verfahren vor Gericht. Eine Rüge hat vor Kurzem der Berliner Urologe Uwe-Christian Arnold erhalten. Weil er Patienten beim Selbstmord hilft und darüber spricht, wirft ihm die Landesärztekammer Berlin vor, sich unärztlich zu verhalten und dem Ansehen des Berufsstandes zu schaden.

Die Bremerin Marieluise Beck (Grüne) hat sich vor der Bundestagsdebatte auf keine Position festgelegt. Viele aus der Fraktion hätten den Vorschlag von Renate Künast (Grüne) unterzeichnet, sie selbst nicht. Beck bezweifelt, dass ein Gesetz überhaupt das richtige Mittel ist: „Sterben und der Wunsch, wie und wann ich mein Leben beenden will, ist so intim und so verschieden, dass eine gesetzliche Regelung der Komplexität nicht gerecht werden kann.“ In einem Positionspapier, das Renate Künast, Petra Sitte (Linke) und Kai Gehring (Grüne) vorlegten, stellen sie das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in den Mittelpunkt. Beihilfe zum Suizid soll nicht bestraft werden, Sterbehilfe-Vereine erhalten bleiben.

Herbert Behrens (Linke) aus Osterholz-Scharmbeck wünscht sich von einer gesetzlichen Regelung genau bei dieser organisierten Suizidbegleitung eine Klarstellung. In welche Richtung die gehen könnte, werde die Debatte heute zeigen. Einen dramatischen Handlungsbedarf beim Thema Sterbehilfe sieht er nicht.

Doch besonders in der Aufklärung der Patienten ist wohl noch einiges zu tun: Drei Viertel der Deutschen fühlen sich zu den Themen Palliativversorgung und Sterbehilfe nicht ausreichend informiert. Das ergab eine Studie der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP), die am Mittwoch veröffentlicht wurde. „Das Wissen über Angebote und Möglichkeiten der Palliativversorgung in Deutschland muss dringend verbessert werden“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Ralf Suhr. Trotzdem sprechen sich drei Viertel der Befragten für das Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung aus, wenn der Patient an einer unheilbaren schweren Krankheit leidet.

Rund zwei Drittel der Deutschen glauben der Studie zufolge aber auch, dass der Sterbewunsch eines leidenden Menschen durch eine gute palliative Versorgung gemindert werden könne. Bei den Befragten, die Erfahrung in der Pflege oder der Sterbebegleitung haben oder im Bereich Medizin oder Pflege arbeiten, glauben das sogar noch mehr, nämlich 76 Prozent.

Was sollte ein Arzt also tun, wenn ein Patient ihn bittet, ihm beim Selbstmord zu helfen? Heidrun Gitter meint: Alternativen aufzeigen, fragen, was den Patienten glücklich machen würde. Sie wünscht sich eine bessere Vergütung für so genannte sprechende Medizin und eine besser finanzierte Pflege. Sie kritisiert, dass Hausärzte für eine Sterbebegleitung zu wenig Zeit hätten und nicht dafür bezahlt würden. Man müsse sich auf eine alternde Gesellschaft einstellen, sagt Heidrun Gitter und fügt provozierend hinzu: „Wir bringen Menschen lieber um, als ihnen eine anständige Begleitung zuzubilligen.“

Aus den jeweiligen Vorschlägen sollen die Abgeordneten bis zur ersten Lesung Ende Februar Gesetzesentwürfe erstellen. Das Gesetz soll bis Ende 2015 verabschiedet werden.

Die Begriffe in der Debatte
n Aktive Sterbehilfe oder auch Tötung auf Verlangen ist in Deutschland verboten, in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg dagegen unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

n Indirekte Sterbehilfe ist die Gabe von Medikamenten, zum Beispiel Schmerzmitteln, bei denen ein vorzeitiger Tod nicht beabsichtigt ist, aber etwa wegen der Schmerzbekämpfung in Kauf genommen wird.

n Von passiver Sterbehilfe spricht man beim Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder dem Abbruch solcher Maßnahmen. Passive Sterbehilfe ist erlaubt, wenn der Patient sich vorab entsprechend geäußert hat oder wenn Maßnahmen – unabhängig vom Patientenwillen – medizinisch wirkungslos oder schädlich sind.

n Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland straffrei, weil auch der Suizid straffrei ist. Allerdings können Helfer, etwa Ärzte, anschließend wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden. Das ärztliche Standesrecht (Berufsordnung) untersagt eine Beteiligung von Ärzten am Suizid.

aus Verdener Nachrichten vom 13.11.2014

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