Verden – Erste Anzeichen für eine Kehrtwende bei der umstrittenen Wahlkreisreform zur kommenden Bundestagswahl. Zehn Wochen nach der Resolution des Kreistages und den scharfen Worten aus der Politik klingen die Statements moderater und ein Fortbestand des Wahlkreises Verden/Osterholz wird immer wahrscheinlicher. CDU-Mandatsträger Andreas Mattfeldt, vor Wochen noch sowohl ein erklärter Gegner der Zerschlagung des Landkreises Verden als auch ein Gegner des sogenannten Kappungsmodells, das die Bundesregierung ins Spiel gebracht hatte, er setzt den neuen Vorschlag aus Berlin nicht mehr kategorisch auf die rote Liste. Jenes Modell also, das zwar eine Beibehaltung der Wahlkreise vorsieht, aber nur noch den Direktkandidaten mit den besten Ergebnissen den Weg in den Bundestag öffnet. „Dieser Vorschlag hat durchaus Chancen“, sagt er auf Nachfrage. Von einer Schlachteplatte, zu der die Region degradiert würde, jedenfalls vorerst keine Rede mehr.

Wahlkreis-Gewinner mit geringem Stimmenanteil nicht mehr für Berlin zuzulassen, war vor allem in Unionskreisen scharf kritisiert worden. Der Wählerwille werde ignoriert, hieß es, dies Wahlverfahren sei mit der Verfassung nicht vereinbar, lautete eine nächste weit verbreitete Meinung. Inzwischen rudert die größte Oppositionsfraktion zurück. „Unter CDU-Kollegen sind wir nicht mehr so sicher, ob diese Variante wirklich als verfassungswidrig einzustufen ist“, so Mattfeldt. Erste Wasserstandsmeldungen aus der Parteispitze deuteten zudem darauf hin, ein möglicher Gang nach Karlsruhe sei nicht mehr erste Wahl.

Nicht unwahrscheinlich, dass neue Rechenmodelle den Meinungswechsel in CDU-Kreisen noch beschleunigt haben. Nehmen wir das Beispiel Niedersachsen. Auf rund 20 Abgeordnete kommen die Christdemokraten nach altem Modell, auf 15 vielleicht noch nach neuem Modus. Aktuell haben sie acht Wahlkreise gewonnen. Heißt: Alle Direktkandidaten zögen in den Bundestag ein. „Selbst wenn es wie in sehr guten Zeiten 13 sind, entsteht in Niedersachsen kein Problem“, errechnete Mattfeldt. Auch das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen, wäre aktuellen Konstellationen zufolge nicht betroffen.

Ganz vom Tisch ist allerdings auch die Zerschlagung des Landkreises Verden nicht. Ein epochales Werk, das als Bundesdrucksache mit der Nummer 20/5200 den Bundestagsabgeordneten zugegangen ist. Bemerkenswerte 301 Seiten mit Tabellen, Grafiken und einem unüberschaubaren Konvolut an Fakten und Daten. Bis in die letzte Verästelung ist die Wahlkreisreform mit einer Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 dargestellt. Und mittendrin der Landkreis Verden, dessen eine Hälfte mit Verden, Kirchlinteln und Langwedel dem Wahlkreis Rotenburg/Heidekreis und anderen Hälfte dem Wahlkreis Nienburg zugeschlagen ist. Bundeswahlleiterin Dr. Ruth Brandt hat den Bericht Mitte Januar einer Mitteilung aus der Wiesbadener Behörde zufolge an Innenministerin Nancy Faeser versandt, das Innenministerium habe das Papier inzwischen dem deutschen Bundestag zugeleitet. Dort liegt es nun. Unklar allerdings, ob das telefonbuchstarke Werk überhaupt noch thematisiert wird. „Wir werden darüber beraten, sofern das Kappungsmodell nicht durchkommt“, sagt etwa Mattfeldt. Intern habe man sich in der CDU-Landesgruppe Niedersachsen abgestimmt, den Entwurf nicht hinzunehmen. „Das Modell würde zu einer Unwucht führen. Die Wahlkreise im Osten Niedersachsens kommen auf weniger Stimmen als der durchschnittliche Rest des Landes“, sagt er. Das sei angreifbar.

Andere Sichten auf die Dinge vertreten die weiteren Bundespolitiker der Region. „Klar ist, der Bundestag darf so nicht weitermachen. Wir brauchen die Reduzierung von aktuell 734 auf künftig 598 Abgeordnete“, sagt etwa Gero Hocker (Achim, FDP) auf Nachfrage. Er betrachte die beiden vorgeschlagenen Varianten emotionslos. „Ich würde es nicht mal als dramatisch ansehen, würde der Landkreis Verden tatsächlich aufgeteilt. Das birgt immerhin sogar die Chance, dass der Raum Achim/Verden zwei Direkt-Abgeordnete nach Berlin entsendet.“ Irgendwo werde man sparen müssen.

Währenddessen kommt der Abgeordnete aus dem Heidekreis, der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil, zu keinerlei neuerlichen Erkenntnissen, wie er auf Nachfrage erklärt. Nach wie vor stehe er hinter dem sogenannten Kappungsmodell der Ampel-Koalition. Klingbeil: „Das Parlament berät diesen Entwurf derzeit. Ich rechne mit einer zeitnahen Entscheidung. Ich hoffe dabei auf Unterstützung der Union, damit wir die Zahl der Wahlkreise nicht reduzieren müssen, die Heimatnähe der Abgeordneten weiterhin gewährleistet bleiben kann und der Wahlkreis Verden Gewissheit hat, nicht zerschlagen zu werden.“