Deutsch-amerikanisches Verhältnis belastet

Was Behörden und Nachrichtendiensten in Deutschland verboten ist, macht offenbar der US-Geheimdienst: Er spioniert die Kommunikationsverbindungen der Deutschen aus. Die Jagd der USA nach Informationen droht die Beziehungen mit der EU und Deutschland ernsthaft zu belasten.
VON MARION TRIMBORN UND WILLY PFAFF

Berlin·Bremen. Der Skandal um die weltweite Datenspionage der US-Geheimdienste droht zu einer schweren Belastung für das Verhältnis Deutschlands und Europas zu den USA zu werden. Empört reagierten gestern Politiker von Regierung und Opposition auf Berichte, wonach die Überwachung Deutschlands durch den US-Geheimdienst NSA offenbar viel umfangreicher ist als bislang angenommen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe prüft, ob sie für mögliche Ermittlungen zuständig ist. Die EU-Kommission verlangte sofortige Aufklärung über die angebliche Bespitzelung von EU-Gebäuden durch den US-Geheimdienst. Washington äußerte sich zunächst nicht konkret zu den Vorwürfen.

Geheime Dokumente der NSA offenbaren nach Informationen des „Spiegel“, dass der Geheimdienst systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und speichert. Monatlich würden in der Bundesrepublik rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen – Telefonate, Mails, SMS oder Chats – überwacht. Die dem Magazin vorliegenden Unterlagen bestätigten, „dass die US-Geheimdienste mit Billigung des Weißen Hauses gezielt auch die Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin“.

Die NSA sei in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen Land der EU, berichtet das Magazin unter Berufung auf geheime Dokumente, die der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mitgenommen habe. Aus der Bundesrepublik fließt dem Bericht zufolge einer der größten Ströme der Welt in den „gigantischen Datensee“ des US-Geheimdienstes. Die Statistik, die der „Spiegel“ eingesehen hat, weise für normale Tage bis zu 20 Millionen Telefonverbindungen und um die zehn Millionen Internetdatensätze aus. An Spitzentagen habe der Geheimdienst bei rund 60 Millionen Telefonverbindungen spioniert. Zum Vergleich: Für Frankreich hätten die Amerikaner im gleichen Zeitraum täglich im Durchschnitt gut zwei Millionen Verbindungsdaten verzeichnet.

Aus einer vertraulichen Klassifizierung gehe hervor, dass die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, aber auch als Angriffsziel betrachte. Demnach gehöre Deutschland zu den „Partnern dritter Klasse“. Ausdrücklich ausgenommen von Spionageattacken seien nur Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland, die als zweite Kategorie geführt würden. „Wir können die Signale der meisten ausländischen Partner dritter Klasse angreifen – und tun dies auch“, brüste sich die NSA in einer Präsentation. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte bestürzt: „Es sprengt jede Vorstellung, dass unsere Freunde in den USA die Europäer als Feinde ansehen.“

SPD, Grüne und Linke forderten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, in Washington auf Aufklärung zu dringen. „Das ist natürlich ein dicker Hund. Die Kanzlerin muss den USA klarmachen, dass so etwas gar nicht geht und unverzüglich zu beenden ist“, betonte der Bremer SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Sieling. Die Grünen-Europaabgeordnete Helga Trüpel verlangt: „Jetzt ist eine Klärung des Verhältnisses der EU zu den USA, aber mit Blick auf die britischen Geheimdienstaktivitäten auch innerhalb der EU nötig.“ Dabei sei die Frage des Datenschutzes mit absoluter Priorität zu behandeln – sowohl was die staatlichen Stellen angehe, als auch die Internetplattformen wie Facebook oder Google. „Die Datenschützer müssen jetzt die Möglichkeit bekommen, uns vor unerlaubten Übergriffen zu bewahren“, fordert der Bremer FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Staffeldt eine Nachjustierung der Gesetze. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sei die Balance zwischen dem Schutz des Staates und seiner Bürger und der Wahrung bürgerlicher Freiheitsrechte „völlig aus dem Gleichgewicht geraten“.

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt zeigte sich entsetzt („Unter Freunden macht man so etwas nicht“), mahnte aber zu Besonnenheit. Man solle zunächst die Gespräche auf höchster Ebene abwarten, bevor man reagiere. „Ich bin gegen Schnellschüsse“, sagte Mattfeldt.