„Unsolidarisch – damit kann ich leben“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt aus dem Wahlkreis Verden/Osterholz lehnt den von Union und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag ab. Unter anderem, weil er seiner Meinung nach nur „extrem schwammige“ Passagen zu der in der Region umstrittenen Erdgasförderung enthält. Peter Voith sprach mit Mattfeldt auch über seine weiteren Gründe.
Dem Koalitionsvertrag stimmen Sie nicht zu. Aber darüber entscheidet nächsten Montag der Kleine Parteitag der CDU, dem Sie nicht angehören. Deshalb: Sie werden doch gar nicht gefragt, oder?
Andreas Mattfeldt: Doch, wir haben vorigen Donnerstag darüber in der Fraktion abgestimmt.
Und Sie haben dagegen votiert?
Ich war bei der Abstimmung draußen. Aber ich habe der Kanzlerin am nächsten Tag meinen Entschluss mitgeteilt.
Warum waren Sie denn draußen?
Ganz einfach. Am vorigen Donnerstag bekamen wir um 12 Uhr Einsicht in den Vertrag. Um 15 Uhr begann die Fraktionssitzung. Wir hatten drei Stunden, 185 Seiten durchzuarbeiten. Das ist nicht machbar.
Also haben Sie die Sitzung geschwänzt.
Nein, ich war in der Fraktionssitzung und habe sie kurz vor der Abstimmung zum Koalitionsvertrag verlassen. Ich habe mir die Zeit genommen, das Papier akribisch durchzuarbeiten. Und bin dann zu dem Schluss gekommen, dass ich dem Vertrag nicht zustimmen kann. Ich habe danach der Fraktions- und Parteispitze meine ablehnende Haltung mitgeteilt.
Waren Sie der einzige, der dagegen war?
Nein, mit mir waren drei weitere Abgeordnete dagegen, fünf haben sich enthalten. Ich habe mich sehr darüber gewundert, dass 311 Abgeordnete bei der Abstimmung so mitgemacht haben, ohne dass sie inhaltlich den Vertrag kennen konnten. Nach drei Stunden Zeit die Hand zu heben, da muss man sich vorkommen wie Stimmvieh.
Aber Fraktionszwang ist doch auch für Sie kein Fremdwort.
Hier geht es nicht um Fraktionszwang. Ich stimme ja auch nicht bei jeder Kleinigkeit gegen die Mehrheit. Im Übrigen aber bin ich als Abgeordneter nur meinem Gewissen und meinem Wahlkreis unterworfen.
Haben Sie wegen Ihrer abweichenden Haltung Ärger bekommen?
Nein. Einige sagen zwar, das ist aber unsolidarisch von dir. Aber damit kann ich leben.
2009 sind Sie als Neuling im Bundestag gleich in den wichtigen Haushaltsausschuss gewählt werden. Müssen Sie jetzt nicht befürchten, abgestraft zu werden?
Davon gehe ich nicht aus. Wenn, dann hätte das allerdings eine Signalwirkung, die auch deutschlandweit Beachtung finden würde. Wenn parteiinterne Kritik nicht erlaubt ist unter Demokraten, dann müssen wir uns fragen: Funktioniert das Parlament noch so, wie wir es uns vorstellen?
Man hat den Eindruck, dass Sie vor allem wegen der unkonkreten Formulierungen in Sachen Fracking und Erdgasförderung den Vertrag nicht mittragen. Machen Sie hier nicht Klientelpolitik, um in Ihrem Wahlkreis Verden/Osterholz zu punkten?
Nein, es geht auch um zwei andere wichtige Themen: Das eine ist, dass wir das Zurückfahren der Rente mit 67 beschlossen haben. Was erheblich negative Auswirkungen für die jungen Menschen haben wird. Das andere ist: Dieser Koalitionsvertrag ist sehr eng genäht. Er geht davon aus, dass wir permanent dieses Steuereinnahme-Niveau haben wie bislang. In dem Moment, wo wir auch nur eine leichte Delle nach unten haben, werden die im Vertrag genannten Maßnahmen nicht mehr zu finanzieren sein. Und dann wird es zwangsläufig zu Steuererhöhungen kommen müssen. Wir laufen dann Gefahr, die deutsche Wirtschaft damit abzuwürgen.
Aber es geht Ihnen auch um die Themen Erdgasförderung und Fracking?
Natürlich, da bin ich zutiefst enttäuscht. Die im Vorfeld gemachten Zusagen finden sich im Koalitionsvertrag nicht wieder. Man hat komplett die Augen davor verschlossen, dass bei uns im Bremer Raum seit über 20 Jahren Erdgas gefördert wird. Die Frage des Lagerstättenwassers, das Benzol und Quecksilber an Bord hat, bleibt ungeklärt. Hier ist ebenso keine Aussage getroffen worden wie über die Beweislastumkehr bei von Erdbeben verursachten Schäden. Offenbar haben sich hier die SPD und die nordrhein-westfälische Erdgasindustrie durchgesetzt. Deshalb hatte ich schon bei der Suche nach einem Koalitionspartner gesagt: Im Bereich Erdgasförderung hätten wir mit den Grünen wohl den besseren Koalitionspartner gehabt.
Den Koalitionsvertrag lehnen Sie ab, aber werden Sie trotzdem Angela Merkel zur Kanzlerin wählen?
Natürlich. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Aber gerade in einer Großen Koalition ist es wichtig, dass sich der eine oder andere Abgeordnete traut, auch aus dem eigenen Lager heraus zu sagen: Es ist nicht alles richtig, was wir hier machen.
Haben Sie in Berlin inzwischen schon den Ruf „Mattfeldt, der Rebell“?
Ich bin kein Rebell. Im Gegenteil: Ich bin sonst sehr treu gegenüber meiner Partei und Fraktion. Ich erlaube mir nur eine kritische Stimme.
Weser Kurier vom 3.12.2013