Von der Vorsicht zur Freiheit

Corona-Schutzmaßnahmen fallen / Kritik von Klinikdirektor und Landrat

VON MANFRED BRODT

Landkreis – Das Team Freiheit hat gegen das Team Vorsicht gesiegt. So könnte man schlagwortartig die Änderung der Anti-Corona-Politik auf Bundesebene beschreiben. Die Ampelkoalition im Bund hatte ab dem 20. März die meisten der bisherigen Corona-Beschränkungen fallen gelassen. Gegen den Willen fast aller Bundesländer, die wegen der Corona-Rekordzahlen die bisherigen strengeren Bestimmungen doch noch bis zum 2. April gelten lassen können. So macht´s auch Niedersachsen.

Die Verwirrung bei den Menschen ist damit komplett, noch größer als ohnehin schon.

Bis zum 2. April gilt so in Niedersachsen die 3G-Regel (vollständig genesen beziehungsweise geimpft oder negativ getestet) für Zusammenkünfte und Feiern mit mehr als 50 Personen, in der Innengastronomie, für Hotels und Pensionen, für Veranstaltungen zwischen 50 und 2000 Teilnehmern, für Kino, Theater oder auch den Zoo. Bis zum Sitzplatz ist jeweils eine FFP2-Maske zu tragen. Für Clubs und Discos gilt 2G plus (vollständig geimpft oder genesen plus Test oder Booster-Impfung).

Fast alles davon wird mit dem 2. April aufgehoben werden. Masken und Tests werden nur noch für Altenheime und Kliniken vorgeschrieben werden.

Im Einzelhandel und in öffentlichen Einrichtungen wie auch Schulen fallen die Masken. Für Busse und Bahnen kann das jeweilige Bundesland die Maskenpflicht einführen.

Beschließen muss das der Landtag des jeweiligen Bundeslandes, der auch bestimmte Bereiche zu „Hotspots“ erklären kann, in denen schärfere Vorschriften für Maske, Abstand und Hygiene, 2- oder 3-G gelten.

Voraussetzung für einen Hotspot sind eine neue gefährliche Virusvariante oder die drohende Überlastung des Gesundheitssystems durch hohe Infektionszahlen. Der Bereich eines Hotspots kann sich auf ein Viertel beschränken, über eine Kommune, eine größere Region oder auch über ein ganzes Bundesland erstrecken.

Wie reagieren Verantwortliche im Kreis?

Dr. Peter Ahrens, Ärztlicher Direktor der Aller-Weser-Klinik: „Mit Fassungslosigkeit und Kopfschütteln. Die Inzidenzien sind so hoch wie nie. Die Intensivstationen sind noch nicht voll, aber die Normalstationen.“ Manche seien schon abgemeldet. Operationen fänden nicht statt. „Die Krankheitsquote des Personals ist hoch, weil man ohne Not Lockerungen in anderen Bereichen beschlossen hat. Ich bin sprachlos angesichts dieser Situation. Hoffentlich bekommen wir keine noch schlimmere Variante.“ Für Dr. Ahrens istdas Impfen das A und O, nachdem Impfverweigerer sich auch nicht für den Vektorimpfstoff erwärmen konnten.

Mitbeschlossen hat das neue Infektionsschutzgesetz der Achimer FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker, der während unseres Telefongesprächs mit Covid 19 das Bett hütet, obwohl er geboostert war, immer wie vorgeschrieben Maske trug und Abstand hielt. Ein milder Verlauf, wie er trotz hohen Fiebers sagt.

Wegen des milden Verlaufs bei Omikron, den überschaubaren Einweisungen in Krankenhäuser und auf Intensivstationen befürwortet Hocker die Lockerungen ab April. Die reinen Inzidenzzahlen sind für ihn kein entscheidender Maßstab. Dann müsste man auch bei Grippewellen Freiheitseinschränkungen verhängen, argumentiert er. Viele andere europäische Länder gewährten da noch mehr Freizügigkeit, verlangten gar keine Masken oder allenfalls in sensiblen Bereichen wie Kliniken und Alteneinrichtungen.

Da liegt sogar auch der Langwedeler CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt mit ihm auf einer Linie. Die Omikronvariante sei glücklicherweise extrem harmlos, grippeähnlich. Deshalb müssten den Menschen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, nach den massiven Einschränkungen die Freiheiten zurückgegeben werden. „Sofort und ohne Übergangsfrist“, befindet Mattfeldt.

Von der Schweiz bis Skandinavien handelten die europäischen Nachbarn so. „Und warum sollte das mit dem besseren deutschen Gesundheitssystem nicht gehen?“, fragt er. Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist zugleich in einer Brauerei und Fleischbetrieben involviert und weiß, dass momentan viele dort mit Covid infiziert sind. „Das rauscht halt jetzt so durch.“

Der CDU-Politiker unterstützt auch den Antrag des liberalen Kubicki gegen jede Covid-Impfpflicht. Dass sein Standpunkt nicht der Mehrheitsmeinung der CDU/CSU entspricht, weiß Mattfeldt. „Er entspricht dem logischen Menschenverstand, und ich habe nicht aufgehört zu denken.“

Gero Hocker (FDP) wiederum denkt, das Land sollte die Landkreise über die Brennpunkte („Hotspots“) entscheiden lassen, damit der Bereich vernünftig vor Ort beschränkt und nicht wegen eines Altenheims ein ganzer Kreis dazu erklärt werde.

Nach Einschätzung von Landrat Peter Bohlmann können das die Landräte nach dem neuen Gesetz allerdings noch nicht. „Wenn in einem Kindergarten Läuse festgestellt werden, kann unsere Amtsärztin ihn sofort schließen. Bei einer Pandemie mit höchst dynamischen Verlauf aber benötigen wir erst einen Landtagsbeschluss.“

Der Landrat hält es nicht für praktikabel, wenn der Bund zentrale Maßnahmen für 83 Millionen Einwohner in 400 Landkreisen und kreisfreien Städten beschließe, egal ob Verschärfungen oder Lockerungen. Er lehnt pauschale, zentralistische Anordnungen für höchst unterschiedliche Landesteile ab und fordert, die sachkundigen Amtsärzte und Hauptverwaltungsbeamten vor Ort entscheiden zu lassen.

Laut Bohlmann gibt es Überlegungen auf Landesebene, ganz Niedersachsen zum Hotspot ab einer gewissen Gefahrenlage zu erklären und dann den Kreisen die einzelnen Maßnahmen zu überlassen.

Allerdings können dann Gerichte da vielleicht nicht mitspielen und Entscheidungen in Kommunen mit niedrigen Inzidenzien kippen.

Auf jeden Fall, so der Landrat, müssten Land und Landkreise per Verordnungen schnell handeln können. Auch für ihn sind die Infektionszahlen nicht der alleinige Gradmesser. Wenn sich allerdings Arbeitnehmer massenhaft infizierten, dann könnten ganze Firmen, Behörden und Branchen lahmgelegt werden, die sogenannte kritische Infrastruktur gefährdet werden, gibt er zu bedenken.

Das wäre dann alles andere als die gewünschte Rückkehr zur Normalität.

Allerdings, so lobt der Landrat, sei die Arbeitsschutzverordnung verlängert worden, damit Betriebe bei entsprechender Gefährdung weiter Basisschutzmaßnahmen im betrieblichen Hygienekonzept festlegen und umsetzen könnten.

Davon werde auch die Kreisverwaltung Gebrauch machen, weil Personalausfälle gerade auch im Hinblick auf die Geflüchteten nicht verkraftbar wären, informiert der Chef der Kreisverwaltung.

Verdener Aller-Zeitung vom 24.03.2022