Wenn die Erde bebt…

  • Aus dem Maisfeld ragt der Bohrturm Völkersen II.FOTO: FOCKE STRANGMANN

Erschütterungen durch Erdgasförderung häufen sich in Niedersachsen

VON SILKE LOODEN

Emstek·Hannover.

Erdbeben, die durch Erdgasförderung ausgelöst werden, häufen sich in Niedersachsen. Seit 1977 wurden 59 Erdbeben in den betroffenen Gebieten registriert. 35 davon waren für die Anwohner deutlich spürbar, zuletzt am

13. Juli in Harbergen (Landkreis Diepholz). In Emstek (Landkreis Cloppenburg) informiert das Landesbergamt die Bevölkerung am Dienstag über das Erdbeben vom Dezember. Das Beben sei zwar auf die Erdgasförderung zurückzuführen, nicht aber auf die umstrittene Fördermethode Fracking.

„In diesem Jahr hatten wir bislang drei Erdbeben infolge der Erdgasförderung“, erklärt Björn Völlmar, der Sprecher des Landesbergamtes in Hannover. Durch die Entnahme von Erdgas kommt es zu Druckabsenkungen am Rande der Lagerstätte. Dadurch bauen sich Spannungen auf, die sich in einem seismischen Ereignis abbauen können. Soweit die Theorie. In der Praxis stellen Hauseigentümer Bergschäden an ihren Gebäuden fest und bleiben vorerst auf den Kosten sitzen.

Deshalb kämpft der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt aus Langwedel (Landkreis Verden) für eine Beweislastumkehr. Bislang nämlich müssen Geschädigte nachweisen, dass die Risse an ihrer Immobilie durch die Erdgasförderung entstanden sind. „Ich kämpfe hart dafür, dass die Interessen unserer Region Eingang in die Gesetzgebung finden“, sagt Mattfeldt. In seinem Heimatort hatte die Erde am

22. November 2012 gebebt. Etwa einhundert Hauseigentümer wurden nach Angaben der Bürgerinitiative „No Fracking“ aus Völkersen, das zu Langwedel gehört, geschädigt. Nach Informationen der Bürgerinitiative erhielten Betroffene teils eine Entschädigung durch die Schlichtungsstelle Bergschaden Niedersachsen. Dem Landesbergamt sind keine Schäden bekannt, die nachweislich auf Erdbeben zurückzuführen sind. Leichte Putzrisse seien allerdings nicht auszuschließen, so Völlmar.

Bei den ersten Erdbeben am Rande von Erdgasfeldern, hatte das Landesbergamt nur zögerlich einen Zusammenhang mit der Förderung eingeräumt. Inzwischen werden Ursache und Wirkung klar benannt. Gleichzeitig schließen die Bergbauexperten aus, dass das Fracking daran Schuld sein könnte, da in Niedersachsen seit 2011 nicht mehr gefrackt wird. Beim Fracken wird Erdgas mit Hilfe von Chemikalien aus dem Gestein gepresst. Bürgerinitiativen warnen vor den Folgen für Mensch und Umwelt.

Die niedersächsische Landesregierung spricht sich für die Fracking-Technologie aus, allerdings unter strengen Auflagen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums sind die Rohgasreserven in Niedersachsen, die 99 Prozent der deutschen Erdgasreserven ausmachen, in den vergangenen zehn Jahren von 320 auf 87 Milliarden Kubikmeter gesunken. Die Industrie geht davon aus, dass zusätzliche 90 Milliarden Kubikmeter Gas mit Hilfe des Frackings gefördert werden könnten.

Nach Einschätzung des Landesbergamtes muss die Bevölkerung im Umfeld von Erdgasföderfeldern in Zukunft mit weiteren Beben rechnen. Ein Vorhersage sei nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft jedoch nicht möglich. Allerdings erhoffen sich die Experten durch ein eng-

maschigeres Messnetz Veränderungen der Spannung unter Tage frühzeitig erkennen zu können. Das Landesbergamt geht davon aus, dass sich der Druck durch die Entnahme von Erdgas über Jahre aufbaut und schließlich entlädt. In Emstek beispielsweise wird seit 1972 Gas gefördert. 1998 kam es dort zum ersten Erdbeben.

Je intensiver und tiefer die Lagerstätten ausgebeutet werden, desto höher sei die Bebengefahr, meint der Bergschäden-Sachverständige Peter Immekus. Seiner Ansicht nach werden die möglichen Folgen durch die Erdgasförderung bagatellisiert. Die Bodenbewegungen könnten zum Beispiel den Grundwasserhaushalt „auf den Kopf stellen“. Der Vorsitzende des Bundesverbandes bergbauunabhängiger Fachleute warnt vor „versteckten Ewigkeitskosten“.

Weser Kurier vom 21.07.2015