Wenn die Nacht zum Horror wird

Wenn die Nacht zum Horror wird

Zugverkehr raubt Anwohnern „Am Bahndamm“ Schlaf / Lärmschutz und Temporeduzierung gefordert

Von Klaus Grunewald Osterholz-Scharmbeck. Als der Mann aus dem Bundestag das Wort erhebt, verstehen die Anwohner nur Bahnhof. Nicht weil Andreas Mattfeldt Polit-Chinesisch redet, sondern weil gerade ein Zug gen Bahnhof Osterholz-Scharmbeck rattert. Anlass der Protestveranstaltung am Freitagabend auf dem Spielplatz an der Straße Zur Wienbeck ist denn auch der seit Jahren stetig zunehmende Bahnlärm, der den Anwohner den Nerv raubt und vor allem die Nächte zur Hölle macht.
Vor 15 Jahren sind sie in das Neubaugebiet zwischen „Am Bahndamm“, „Zur Wienbeck“ und „Auf dem Kamp“, in die Luisen-, Katharinen- und Theresenstraße gezogen. Letztlich darauf vertrauend, wie Christel und Jürgen Otte erklären, dass der Bauträger oder die Kreisstadt wegen des benachbarten Schienenstrangs für Lärmschutz sorgen. Doch darauf haben die Anwohner bis heute vergeblich gewartet. Und viele sind wegen des nächtlichen Krachs und der damit verbundenen Schlafstörungen gesundheitlich angeschlagen. Christel Otte klagt zum Beispiel über Herz-Kreislauf-Störungen. Zusammen mit ihren Nachbarn Jens Klostermann, Torsten Heidemann und Frank Hoffmann hat die Kreisstädterin jetzt beschlossen, sich öffentlich zur Wehr zu setzen.
 

Mit einem ersten Erfolg. Denn ihrem Aufruf zur Protestversammlung auf dem Spielplatz sind an diesem lauen Sommerabend erwartungsgemäß nicht nur die Anwohner, sondern auch etliche Politiker gefolgt. Und die müssen einmal mehr registrieren, dass Profitorientierung bei der Bahn nicht nur die Bilanzen aufbessert, sondern auch erhebliche Schattenseiten haben kann.
„Seitdem die Schienenträger ausgewechselt worden sind, ist der Lärmpegel gewaltig in die Höhe geschnellt“, klagt Gerhard Brünjes und nennt auch den Grund: „Die hölzernen sind durch Betonschwellen ersetzt worden.“ Vor allem nachts, wenn die Güterzüge mit Tempo 110 durch die Ortschaft rasen, würden Vibrationen und metallene Schläge die Anlieger aus dem Schlaf reißen.
Die Bahnstrecke zwischen Bremen und Bremerhaven, die mitten durch die Kreisstadt führt, ist stark frequentiert, Etwa 140 Züge passieren rund um die Uhr das Linteler Wohngebiet. In einigen Jahren, so schätzt die Osterholz-Scharmbecker SPD-Vorsitzende Marianne Grigat, dürften es 220 Personen- und Güterzüge sein. Dann vibrieren fast alle sieben Minuten die stählernen Schienenstränge in der unmittelbaren Nachbarschaft der Wohnsiedlung.
Gleichwohl zeigt sich der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Langwedel „verhalten optimistisch“. Im Jahre 2015 rechnet Andreas Mattfeldt mit dem Bau von Lärmschutzwänden. Wenn die Bahn AG diesen Termin einhalte, so die Erfahrung des CDU-Politikers, „ist sie für ihre Verhältnisse wahnsinnig schnell“. Die Umstehenden können es kaum glauben, dass diese Äußerung ernst gemeint war. Doch Mattfeldt ist sich bewusst: „Bei der Bahn ziehen von der Planung bis zur Realisierung oft Jahrzehnte ins Land.“ Die Züge rasen dagegen immer schneller durch die Kreisstadt. Deshalb fordern die gebeutelten Anwohner eine Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo 70 für Güterzüge sowie ein generelles Fahrverbot für dieselben zwischen 22 und 6 Uhr in den Monaten Juli und August. Der Juli, sagen Christel und Jürgen Otte, sei der reinste Horror gewesen. Weil man es wegen der hochsommerlichen Temperaturen nachts nur bei geöffneten Fenstern habe aushalten können, sei nicht an Nachtruhe zu denken gewesen.
„Wir leiden seit etlichen Jahren“, lautet die Klage auf dem Spielplatz unisono. Die Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität wollen die Bahnanlieger Vertretern der Bahn demnächst im persönlichen Gespräch verdeutlichen. Eine solche von Wilfried Pallasch (Bürgerfraktion) angeregte Unterredung wird uneingeschränkt begrüßt und soll so schnell wie möglich stattfinden. Als die Initiatoren das Finale ihrer Protestversammlung verkünden, erklingt ein bekanntes Geräusch: Ein Güterzug entführt die letzten Wortbeiträge nach Bremerhaven.
© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Osterholzer Kreisblatt Seite: 1 Datum: 09.08.2010