Politikverdrossenheit…….

Abgeordnete fühlen sich machtlos
Politikverdrossenheit einmal umgekehrt

Von Norbert Holst, Hans-Ulrich Brandt, Jenny Hagedornund Mona Stephan, Bremen·Berlin. Die meisten Volksvertreter fühlen sich weitgehend machtlos. Das ist das Ergebnis einer Studie der Stiftung Change Centre und der Universität Düsseldorf, die heute offiziell vorgestellt wird. Demnach schätzen bis zu 80 Prozent der Abgeordneten von Bundestag, Landtagen und großen Städten ihren Einfluss als gering ein. Abgeordnete aus der Region in Bürgerschaft und Bundestag sehen das allerdings differenzierter.

„Die Abgeordneten betrachten ihre Rolle weniger offensiv und aktiv, sondern reaktiv. Sie verstecken sich fast vor den Bürgern.“ So fassen die Professoren Joachim Klewes und Ulrich von Alemann ihre Studie zusammen. 2000 Politiker haben sie befragt. Auf fast allen wichtigen Feldern – darunter Arbeitsmarkt, Umwelt, Gesundheit – glaubt nur ein Fünftel der Volksvertreter, einflussreich zu sein. Allein beim Thema Bildung sind es 35 Prozent.
Die Bundestagsabgeordneten aus Bremen und umzu sehen indes ihre Rolle etwas anders. „Ich habe hier durchaus die Möglichkeit, in meinen Bereichen etwas zu bewegen“, sagt etwa Schifffahrtsexperte Torsten Staffeldt (FDP). Ein Stück weit schwieriger ist es, sich in den großen Fraktionen Gehör zu verschaffen, meint Sozialdemokrat Carsten Sieling: „Man kann hier im Bundestag durchaus etwas bewirken, wenn man frühzeitig ein Thema setzt.“

Andreas Mattfeldt aus Langwedel sitzt im wohl mächtigsten Ausschuss des Bundestags. „Als Haushaltspolitiker hat man natürlich die Möglichkeit, über die Stellschrauben des Haushalts einiges zu beeinflussen“, erläutert der Christdemokrat. In einer ganz anderen Rolle ist Linke-Abgeordnete Agnes Alpers. Aber auch sie kann sich in die Parlamentsarbeit einbringen: „Hätte ich das Gefühl, nichts bewirken zu können, würde ich in Berlin sofort meine Koffer packen.“ Und immerhin habe man ja die Macht „die Regierung vor uns herzutreiben“. Ihr Fraktionskollege aus Osterholz-Scharmbeck, Herbert Behrens, denkt ähnlich: „Einfluss ja, Macht nein. Wir bringen unseren politischen Einfluss ein und stellen Transparenz für den Bürger her.“ Die Stimmen zeigen: Jeder Abgeordnete wählt einen eigenen Weg, um Einfluss zu nehmen. Die Studie kommt dabei zu einem überraschenden Ergebnis: Ob mächtig oder ohnmächtig – für das Gefühl des Einflusses spielen Geschlecht, Alter und Dauer der Parlamentszugehörigkeit keine große Rolle. So bilanziert Marieluise Beck, mehr als 20 Jahre lang MdB, für die Arbeit der Grünen: „Das war nicht so schlecht.“ Immerhin hätte es die Partei geschafft, dass das Thema Umwelt jetzt wichtiger Bestandteil aller Parteien sei. Das Beispiel zeige: „Wer Politik in langen Zeiträumen denkt, der fühlt sich mittendrin.“ Doch warum fühlen sich laut Studie so viele Abgeordnete „politikverdrossen“? „Dies mag an den vielfältigen Zwängen von Fraktionen und Parteiapparaten liegen oder auch an der Arbeitsteilung im Parlament“, schreiben Klewes und von Alemann. Doch in Sachen Fraktionszwang winken Mattfeldt, Staffeldt und Sieling übereinstimmend ab. Wer rechtzeitig in der Fraktion eine abweichende Position kund tue, habe keine Repressalien zu befürchten. Vielleicht sind es tatsächlich die ausgeprägten Hierarchien. „Im Bundestag entscheiden letztlich 60 Leute – der Rest wird mit Kommissionen, Arbeitsgruppen und anderen Sachen beschäftigt“, hört man schon mal hinter vorgehaltener Hand in Berlin.
Näher dran sind da schon die Abgeordneten in der Hansestadt. „Ich fühle mich nicht machtlos“, sagt etwa Uwe Woltemath. Der Parteilose verweist auf die Unterschiede zu Berlin: „Im Bundestag hängen die Abgeordneten stärker in einer Maschinerie. Bei uns in der Bürgerschaft haben wir kleinere Abläufe und damit mehr Einfluss.“ Matthias Güldner, Fraktionschef der Grünen, sieht das ähnlich: „Das ist eine Frage des Engagements, welche Macht wir haben.“ Das Parlament könne viel bewegen. „Wir Politiker stecken in keinem Dilemma.“ Birgit Busch (SPD) hingegen kennt das Gefühl von Machtlosigkeit. „Es ist mal mehr, mal minder da“, sagt sie. „Wir können nicht alle Prozesse komplett beeinflussen. Das ist ein Problem von Rechtsstaatlichkeit.“ Die Bürger hätten immer mehr Macht. „Das macht unsere Arbeit schwieriger. Aber das ist ein guter Prozess.“ FDP-Chef Oliver Möllenstädt meint dazu: „Ich würde nicht generell einen Spagat zwischen Bürgern und Parlamentariern machen.“ Er verhehlt aber nicht, dass es Frustmomente gebe, wenn gute Vorschläge der Opposition nicht diskutiert würden.
Die kennt auch Monique Troedel, Fraktionschefin der Linken. Sie fühlt sich nicht machtlos – doch manchmal ohnmächtig. „Es ist die Frage, was man als Abgeordnete erwartet. Erwartet man, dass Vorschläge sofort umgesetzt werden? Da kann ich als Opposition ein Lied von singen. Man braucht halt ein wenig Geduld.“

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 09.02.2011