Wenn der Wahlkreis zum Abgeordneten kommt

Wenn der Wahlkreis zum Abgeordneten kommt

Info-Reise nach Berlin / „Ein bisschen gekämpft, ein bisschen Beziehungen“

Von Jens Wenck

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LANGWEDEL/BERLIN · Andreas Mattfeldt hat Tränen in den Augen. „Mensch, ihr seid ja überpünktlich…“ Just sind 50 Menschen eine Viertelstunde vor der veranschlagten Zeit aus ihren Reisebus geklettert und haben gerade mal einen kurzen Blick auf den Berliner Reichstag geworfen. Die Busladung kommt aus dem Wahlkreis des CDU-Bundestagsabgeordneten Mattfeldt. Der schöpft das Kontingent, dass das Bundespresseamt jedem Abgeordneten für die Einladung von Besuchergruppen gewährt, gern und im vollen Umfang aus.

Auch wenn die Begrüßung der Berlin-Besucher durch den Abgeordneten (wahrscheinlich jedes Mal) herzlich ausfällt, es sind mitnichten Tränen der Wiedersehensfreude, die da die Augen des Abgeordneten füllen. Der Mann ist mit dem Fahrrad von seiner Wohnung zum Treffpunkt zwischen Paul-Löbe-Haus und Bundestag gekommen – und der Winterfahrtwind beißt doch ganz schön.

Seit Oktober 2009 ist Mattfeldt Bundestagsabgeordneter. „Ich wollte ja nie mein Geld mit Politik verdienen“, wird der 43-Jährige seinen Besuchern später erzählen. Worauf der eine oder anderen einen kleinen Hustenanfall bekommt. Wie auch immer: Nachdem der gelernte Industriekaufmann völlig überraschend 2001 als CDU-Mann die Bürgermeisterwahl in Langwedel gewonnen hatte – und er im Knüpfen von Verbindungen und Kontakten über den Flecken hinaus nicht untätig gewesen sein dürfte, habe sich der damalige Ministerpräsident Christian Wulff mit der Aufforderung, für den Bundestag zu kandidieren an ihn gewandt. „Ich wollte erst gar nicht“, behauptet Mattfeldt.

Aber er landet in Berlin, gewinnt seinen Wahlkreis. „Hier in Berlin musste ich kämpfen.“ Er wird Sprecher der CDU-Bundestagsneulinge, will als Frischling unbedingt in den Haushaltsausschuss. Und kriegt das hin. Der Völkerser arbeitet mittlerweile auch noch im Petitionsausschuss, im Unterausschuss zu Fragen der EU, ist stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss.
Wer in so vielen Ausschüssen sitzt, der hat gern kurze Wege in den Bundestag und ins Paul-Löbe-Haus, wo seine Ausschüsse tagen. Nur, die Büroräume im Löbe-Haus sind: 1. begrenzt, 2. begehrt. Mattfeldt bekommt die gewünschten Räume. „Ich hab ein bisschen gekämpft, ich hab ein bisschen Beziehungen spielen lassen.“

Der Abgeordnete erzählt der Besuchergruppe, man hat im Sitzungssaal des Bundesverkehrsausschusses Platz genommen, von der Bedeutung der Schuldenbremse, der Eurokrise, die ihn und die anderen „Haushalter“ in den vergangenen zwei Jahren heftigst in Anspruch genommen haben. Als Mitglied einer Strategiegruppe ist er in Brüssel und in Griechenland unterwegs und steht mit der Bundeskanzlerin eigentlich fast immer in Kontakt. „Angela Merkel sagt immer, ich war erst letzt bei ihr zum Essen, wo sie sich bedankt hat…“ lässt er so nebenbei in die Darstellung seiner Arbeit einfließen.

Ob die Besucher vielleicht auch mal sein Büro sehen wollen? Sie wollen. 50 Männer und Frauen fallen in drei jeweils 18 Quadratmeter große Räume ein. Die Achimer Landfrauen, die mit einer stattlichen Abordnung vertreten sind, nutzen die Gelegenheit, sich für die Einladung mit einem kleinen Geschenk aus der Heimat zu bedanken. Auch die Mitarbeiterinnen von Mattfeldt werden bedacht.

Durch einen Tunnel geht es anschließend in das Reichstagsgebäude. Andreas Mattfeldt vorneweg – und erzählt, berichtet, erklärt die Geschichte des Gebäudes. Zwar ist längst Daniel Zierenberg als vom Bundespresseamt (das bezahlt diese Besucherreise nämlich) bestellter Reiseleiter mit dabei. Er bleibt aber an diesem Nachmittag im Reichstag arbeitslos. „Der Andreas Mattfeldt macht das wirklich gut, mit richtiger Begeisterung. Ich hab hier noch nie einen Abgeordneten erlebt, der sich so viel Zeit für seine Besucher nimmt“, sagt Zierenberg.

Auch beim Abendessen ist Mattfeldt dabei, anschließend geht es für einen stattlichen Teil der Besuchergruppe noch einmal ins Abgeordnetenbüro. Für, ähem, Hintergrundgespräche und den freundschaftlichen Austausch bei einem Gläschen Wein. Möglicherweise könne er am nächsten Tag nicht mit von der Partie sein, hat Mattfeldt wissen lassen. Weil, beim Neujahrsempfang der Bremer CDU habe die Kanzlerin spitz gekriegt, dass er in Berlin sein werde. Da in Brüssel die EU-Haushaltsgespräche anstehen, brauche man dafür eine entsprechende Vorbereitung…

Tatsächlich müssen die Besucher die nächsten zwei Tage Berlin allein – aber mit einem großartigen Betreuer – unter die Busräder und die Füße nehmen. Unter anderem wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen – aber bei dem einen oder anderen auch das Schokoladenhaus Fassbender & Rausch am Gendarmenmarkt. Komplett verstörend wirkt die Gedenkstätte Hohenschönhausen, ein ehemaliges Gefängnis der Staatssicherheit der DDR.

„Ganz ehrlich: Ich müsste mich heute selbst dauernd in den Hintern treten, wenn ich nicht nach Berlin gegangen wäre“, so Mattfeldt in kleiner Runde.
Gleiches gilt für Menschen, die einmal so eine Fahrt mitmachen konnten. Sehr wahrscheinlich landen Parteigänger der jeweiligen Abgeordneten leichter und öfter in so einer Reisegruppe – was aber den schlicht interessierten Bürger nicht davon abhalten sollte, seinen Namen im Wahlkreisbüro eines Abgeordneten zu hinterlassen – um dann irgendwann auf Informationsfahrt gehen zu können.

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